«Die politische Agenda darf keine Rolle spielen»
- 06. November 2025
- 3 min Lesezeit
Letzten Monat hat der Bundesrat eine neue Allgemeinverfügung verabschiedet. Gemäss dieser gilt der Schutzstatus S seit dem 1. November 2025 für diejenigen schutzsuchenden Personen, die vor Verlassen der Ukraine ihren letzten Wohnsitz in ukrainischen Regionen hatten, in denen sie aufgrund der Situation der allgemeinen Gewalt einer konkreten Gefährdung an Leib oder Leben ausgesetzt sind und keine gesetzlichen Ausschlussgründe erfüllen – sofern der Antrag nach dem 1. November gestellt. Jene, die davor in die Schweiz kamen, verlieren den Schutzstatus S nicht. Das SEM stuft eine Rückkehr in folgende Oblaste als zumutbar ein: Wolyn, Riwne, Lwiw, Ternopil, Transkarpatien, Ivano Frankivsk und Tscherniwzi. Der Luzerner Ständerat Damian Müller hat die Einführung dieser Praxis unterstützt. Beitrag im Seetaler Bote 6. November 2025
Sie haben letztes Jahr der Motion «Schutzstatus S auf wirklich Schutzbedürftige beschränken» von SVP-Nationalrätin Esther Friedli zugestimmt. Warum?
Damian Müller: Ich halte es für unerlässlich, Menschen zu schützen, die tatsächlich Schutz benötigen. Das entspricht unserer humanitären Tradition, die tief in der Schweizer Geschichte verwurzelt ist. Gleichzeitig muss die Schweiz ihre Aufnahme und Integrationskapazitäten realistisch einschätzen. Da klar ist, dass die Schweiz nicht die gesamte Bevölkerung eines Landes aufnehmen kann und sich die Lage in der Ukraine regional sehr unterschiedlich präsentiert, ist es wichtig, den Schutzstatus S gezielt einzusetzen. So stellen wir sicher, dass diejenigen Unterstützung erhalten, die unmittelbar und am stärksten vom Krieg betroffen sind. Das ist eine Frage der Fairness, der Glaubwürdigkeit und der langfristigen Tragfähigkeit unseres Schutzsystems. Auch andere Länder, etwa Norwegen, haben ihre Praxis entsprechend angepasst.
Die geforderte Regelung, nur noch Schutzbedürftige aus stärker betroffenen oder russisch besetzten Regionen aufzunehmen, gilt seit dem 1. November 2025. Wie sollen die Schweizer Behörden diese Lagebeurteilung vornehmen können?
Das Staatssekretariat für Migration verfügt über erfahrene Fachleute, die die Lage laufend analysieren und entsprechende Empfehlungen abgeben können. Zudem kann sich die Schweiz an den Einschätzungen anderer europäischer Länder orientieren – etwa an Norwegen. Solche Entscheidungen sind anspruchsvoll, aber machbar. Entscheidend ist, dass unsere Behörden konsequent, jedoch stets mit gesundem Menschenver stand handeln.
Werden solche Kriterien auch für Flüchtlinge aus anderen Ländern von der Schweiz angewendet und wenn nicht, warum wird das nicht auch vom Parlament gefordert?
Die Situation der Ukraine ist eine besondere. Nur Menschen aus der Uk raine erhalten den vorübergehenden Schutzstatus S – ein Sonderstatus, der ihnen rasch und unbürokratisch Schutz bietet. Für alle anderen gilt das reguläre Asylverfahren gemäss Asylgesetz mit der N-Bewilligung. Diese Unterscheidung ist richtig, zeigt aber auch, dass der Status S gezielt und verantwortungsvoll eingesetzt werden muss.
Zuletzt hat der Aargau quasi Alarm geschlagen bezüglich der Unterkünfte. Auch im Kanton Luzern herrscht noch eine Notlage. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage im Asyl- und Flüchtlingswesen?
Die Lage im Asylwesen bleibt an gespannt. Viele Kantone – auch Luzern und Aargau – stossen an ihre Grenzen. Besonders im Bereich der Unterbringungen und Betreuung. Das Staatssekretariat für Migration steht hier besonders in der Verantwortung, gemeinsam mit Kantonen und Gemeinden tragfähige Lösungen zu finden. Die Gemeinden müssen stärker einbezogen werden, denn sie tragen die Hauptlast bei Unterbringung und Integration. Es braucht eine verantwortungsvolle Politik, die auf Zusammenarbeit setzt, statt auf Symbolpolitik. Die politische Agenda darf dabei keine Rolle spielen – entscheidend ist, dass die bestehenden Gesetze konsequent und pragmatisch umgesetzt werden. Nur so bleibt das Vertrauen in die Asylpolitik bestehen.