"Zuwarten und staunen ist kein Rezept"
- 11. März 2021
- 5 min Lesezeit
- Interview im Seetaler Bote
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Solidarität
HITZKIRCH Ständerat Damian Müller hat an vorderster Front am Entwurf zur AHV-Revision mitgearbeitet. Mit dem «Seetaler Bote» spricht er über die Dringlichkeit der Sanierung des Sozialwerks, über die Anliegen der Frauenorganisationen, der Präferenzen der Linken und den Vorschlag der Mitte-Partei.
Damian Müller, Sie haben in der ständerätlichen Kommission an vorderster Front am aktuellen Entwurf zur AHV-Revision mitgearbeitet und vertreten in der Debatte die Dringlichkeit der Reform. Weshalb eilt es so?
Damian Müller: Die AHV schreibt schon sehr lange rote Zahlen. Zwischen 2020 und 2035 wird sich die Situation als Folge der Pensionierung der Babyboomer dramatisch zuspitzen. Wir laufen sehenden Auges in hohe Milliardendefizite rein. Ich will die AHV-Renten sichern, und zwar auf dem heutigen Niveau. Das gelingt nur, wenn wir jetzt rasch einen ersten Stabilisierungsschritt machen. Zuwarten und staunen ist kein Rezept.
Sie vertreten den FDP-Antrag, der vorsieht, dass die tieferen Einkommen der Frauenjahrgänge, welche von der Erhöhung des Frauenrentenalters besonders betroffen sind, mehr AHV erhalten, wenn sie bis zum neuen, höheren Rentenalter weiterarbeiten. Sie sind aber damit gescheitert. Wie gross ist Ihre Enttäuschung?
Eine AHV-Reform, die nicht fair und sozialverträglich ist, wird vor dem Volk scheitern. Deshalb wollte ich den Frauen, die nicht mehr weit von der Pensionierung entfernt sind, ein faires Angebot machen. Schliesslich greifen wir in ihre persönliche Lebensplanung ein. Von den besonders betroffenen Frauen sollten diejenigen mit tiefen Renten etwas mehr profitieren als Frauen, die darauf weniger stark angewiesen sind. Enttäuscht bin ich schon, dass sich gewisse bürgerliche Kreise hier so knausrig zeigten.
Die Kommissionsmitglieder der Mitte-Partei haben zusammen mit der SVP diesen Vorschlag gekippt. Sie brachten im Gegenzug die Erhöhung des Ehepaarplafonds durch. Das kommt für Sie allerdings nicht infrage. Warum nicht?
Weil wir mit der Vorlage nur ein Ziel verfolgen: die Finanzierung der Renten sichern. Es gibt nichts zu verteilen. Genau das aber versucht die «Mitte». Mit dem Ergebnis, dass man mit den Frauen der Übergangsjahrgänge kleinlich umgeht, gleichzeitig aber die Maximalrente von Ehepaaren erhöhen will. Dies ist nicht nur gesellschaftspolitisch heikel, es macht auch den Spareffekt zunichte: Damit wird nämlich praktisch gleich viel zusätzlich ausgegeben, wie man mit der Erhöhung des Rentenalters der Frauen an Einsparungen erzielt. Die alleinstehende Verkäuferin muss also ein Jahr länger arbeiten, damit die Rente der ohnehin schon bessergestellten Ehepaare erhöht werden kann. Das versteht doch kein Mensch.
Mitte-Präsident Gerhard Pfister will die Anhebung des Plafonds von 150 auf 155 Prozent jedoch mit allen Mitteln durchsetzen, notfalls mit einem Referendum. Er spricht von einer Diskriminierung der Ehepaare. Was sagen Sie dazu?
Es stimmt, dass die Maximalrente für Ehepaare nicht das Zweifache, sondern nur das Anderthalbfache einer Einzelrente ausmacht. Ehepaare profitieren aber stark vom aktuellen System: Wer verheiratet ist, geniesst in der AHV grosse Privilegien, etwa die Witwenleistungen. Unter dem Strich fahren Ehepaare schon heute deutlich besser als Alleinstehende. Daran lässt auch der Bundesrat keine Zweifel. Er spricht vom «Heiratsbonus» der Ehepaare in der AHV. Und er hat recht.
Die Kommission hat die Ausgleichsmassnahmen für die Frau ab Alter 65 auf 340 Millionen jährlich und bei sechs Übergangsjahrgängen festgelegt. Der Präsident der Mitte-Partei sieht hingegen 700 Millionen als Schmerzgrenze und neun Jahrgänge als Minimum. Wie beurteilen Sie diese Forderung?
Die Forderung der «Mitte» gibt es und sie wurde öffentlichkeitswirksam durch Geri Pfister in den Medien publik gemacht. Ausgerechnet seine Ständeräte haben nun aber der «Schmürzelivariante» mit der Hälfte der Leistungen, sprich den erwähnten 340 Millionen, in der Kommission zum Durchbruch verholfen.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund fordert kategorisch: «Hände weg von den Frauenrenten!». Innert wenigen Tagen wurden für dieses Anliegen online über 300 000 Unterschriften gesammelt. Das muss Ihnen doch zu denken geben.
Die Linke verfällt bei der AHV-Thematik genauso wie die Mitte-Partei immer sofort in den Reflex, kategorisch gegen eine Veränderung zu sein. Während die «Mitte» das Mantra der benachteiligten Ehepaare herunterbetet, stellt sich die Linke gegen die Angleichung des Rentenalters von Frau und Mann. Dieses Beharren auf ihren Positionen hat letztlich dazu geführt, dass sich die AHV in dieser desolaten finanziellen Situation befindet. Wir sind es dem Volk schuldig, uns nun zusammenzuraufen und die AHV-Renten zu sichern.
Die Linken machen mit Blick auf eine mögliche generelle Erhöhung des Rentenalters geltend, dass es ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon heute schwer hätten auf dem Arbeitsmarkt. Sehen Sie das anders?
Eine generelle Erhöhung des Rentenalters steht heute ja gar nicht zur Diskussion. Ausserdem stimmt es nicht, dass ältere Arbeitnehmende die Stelle häufiger verlieren als jüngere. Was aber stimmt: Wenn sie ihre Stelle verlieren, brauchen sie länger als Jüngere, um eine neue Stelle zu finden. Sie müssen wir künftig noch besser unterstützen, damit sie rascher wieder Arbeit finden. Auch mit guter Unterstützung schaffen aber nicht alle den Weg zurück in den Arbeitsmarkt. Genau für diese Menschen haben wir – mit Unterstützung der FDP – bedarfsgerecht die Überbrückungsleistung zur Existenzsicherung geschaffen.
Frauenorganisationen argumentieren mit den Nachteilen bei der beruflichen Vorsorge von berufstätigen Frauen, die Teilzeit arbeiten. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?
Ich teile diese. Während Frauen im Durchschnitt in der AHV sogar leicht höhere Leistungen beziehen als Männer, fahren sie in der beruflichen Vorsorge schlechter. Vor allem dann, wenn sie Teilzeit gearbeitet haben. In der zweiten Säule besteht deshalb ebenfalls Handlungsbedarf. Doch darum geht es in der aktuellen AHV-Diskussion nicht. Diese Themen darf man nicht vermischen.
Und dennoch: Die BVG-Reform, die sich mit den Problemen bei den Pensionskassen befasst, läuft ebenfalls. Dort geht es um Fragen wie die Halbierung des Koordinationsbeitrags oder Massnahmen gegen den sinkenden Umwandlungssatz. Welche Lösungsansätze sehen Sie?
Mit der Halbierung des Koordinationsabzugs soll die Vorsorge von Teilzeit- erwerbstätigen und Versicherten mit tiefen Einkommen verbessert werden. Einfach ausgedrückt soll also ein grösserer Teil des Lohnes versichert werden als heute, was zu besseren Renten führt. Mit der Senkung der Altersgutschrift älterer Versicherter will der Bundesrat zudem die Wettbewerbsfähigkeit von älteren Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Beides ist vernünftig. Der Mindestumwandlungssatz ist insbesondere als Folge der Langlebigkeit – das Geld muss immer länger reichen – und der Negativzinspolitik nicht mehr realistisch und muss gesenkt werden. Dadurch drohen vielen empfindliche Renten- einbussen. Angemessene Kompensationsmassnahmen sind unumgänglich. Sonst wird auch dieser Reformversuch wieder scheitern – und das will ich verhindern.
Ernesto Piazza