Damian Müller | Ständerat

Zeit für taugliche Lösungen

  • 28. Februar 2023
  • 5 min Lesezeit

Es gibt zu wenig Wohnraum in der Schweiz. In zwei Postulaten habe ich vom Bundesrat Antworten auf dringliche Fragen verlangt. Und vor allem Lösungsvorschläge! Doch auch als Gesellschaft haben wir eine Verantwortung: Ich wünsche mir eine Diskussion darüber, wie Trends zu immer mehr Teilzeitarbeit und Selbstverwirklichung die aktuelle Situation noch verschärfen. Sind Vollzeiterwerbstätige bald die Dummen?

Seit Jahren deuten alle Indikatoren darauf hin, dass der Wohnraum in unserem Land immer knapper und teurer wird. Steigende Zinsen, weniger bebaubares Land und immer mehr Auflagen dürften in den kommenden Jahren nochmals zu einer tieferen Bautätigkeit führen. Gleichzeitig klettert die Nettozuwanderung auf ein neues Allzeithoch und die demografische Entwicklung sorgt für immer mehr Einzelpersonenhaushalte, was die Nachfrage anheizt. In zwei Postulaten habe ich vom Bundesrat Antworten auf die dringlichen Fragen verlangt. Im ersten Postulat fordere ich die Landesregierung auf, einen Bericht mit Antworten vorzulegen (zum Postulat 22.4290). In diesem Bericht sollen die Gründe für die tiefe Leerwohnungsquote der Schweiz evaluiert werden. In einem zweiten Postulat 22.4289 zur Mietpreisexplosion in der Schweiz fordere ich den Bundesrat auf, die Gründe für die Preisentwicklung der Wohnungsmieten in der Schweiz seit 2002 darzulegen. Ich erwarte vom Bundesrat baldige Analysen und Lösungsvorschläge, die Zeit drängt. Denn bald drohen vielen Menschen in unserem Land massive Wohnraumverteuerungen.

Eine zu geringe Bautätigkeit im Verhältnis zur hohen Zuwanderung ist einer der Hauptgründe für die Wohnungsknappheit. Jedoch gibt es gesellschaftliche Entwicklungen, die in dieser Situation zusätzlich wie ein Brandbeschleuniger wirken. Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen, konstatierte in der «NZZ» treffend: «Die Schweiz droht zu einer Art Luxemburg zu werden, wo die heimische Bevölkerung den Wohlstand verwaltet und jene, die ihn erwirtschaften, aus dem Ausland stammen.»

Diese Entwicklung ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Haltung, die maximale Individualität und persönliche Entfaltung für alle hochhält. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden – aber dieser Trend hat die erwähnte Kehrseite. Kommt hinzu: Vor allem gut ausgebildete Menschen in der Schweiz arbeiten vermehrt Teilzeit. Eine kürzlich durchgeführte Studie des Meinungsforschungsinstituts Sotomo besagt, dass 68 Prozent der Befragten finden, man arbeite in der Schweiz zu viel. Bei den Wählern von SP und Grünen finden gar 80 Prozent, dass die Schweizerinnen und Schweizer zu viel arbeiten müssten. Auch bei der SVP-Basis sind es immerhin 53 Prozent. Bemerkenswert: Gleichzeitig tendieren 55 Prozent aller Befragten zur Aussage, man müsste in der Schweiz aufgrund des demografischen Wandels und des Arbeitskräftemangels eigentlich mehr arbeiten. Doch aktuelle Studien zeigen: die Wette, wonach vermehrte Teilzeitarbeit von Männern die Erhöhung der Pensen der Frauen fördert und damit unter dem Strich eine höhere Arbeitsmarktpartizipation erreicht wird, geht zumindest bis heute nicht auf. Die Arbeitsmarktpartizipation der Frauen ist heute schon hoch in der Schweiz. Und Männer, die sich einmal an Teilzeitarbeit gewöhnt haben, rücken nicht so einfach davon ab, auch wenn die Kinder mal älter sind, die sie mitbetreut haben. Zu hoch scheint die Lebensqualität zu sein, von der Teilzeitarbeit und den damit verbundenen Freiheiten wieder abzurücken. Und: man kann es sich ja leisten!

Doch auch die Politik ist anfällig für die entsprechenden Trends. Obwohl wir wissen, dass Teilzeitarbeit gerade in der Altersvorsorge erhebliche Risiken mit sich bringt – ungenügende Renten für einen geruhsamen Lebensabend, weil auf zu wenig Einkommen Beiträge bezahlt wurden – werden wir beispielsweise in der Revision der beruflichen Vorsorge im Parlament nicht mehr müde, das Hohelied der Verbesserung der Bedingungen für die Teilzeitarbeit zu singen. Nicht im Grundsatz falsch. Aber teilweise komplett überzeichnend und überbordend. Wenn sich Frauenorganisationen selbst mit der Unterstützung bürgerlicher Frauen darauf versteifen, wonach dereinst sogar eine lebenskostendeckende Rente erhalten solle aus einem nicht lebenshaltungskostendeckenden Teilzeitgehalt von bspw. CHF 30’000, dann sei die Frage erlaubt, wo der gesunde Menschenverstand geblieben ist.

Diese Widersprüche dürfen wir nicht länger schulterzuckend hinnehmen. Als Gesellschaft haben wir eine Verantwortung für unser Tun. Wir müssen aufzeigen, dass unser Wohlstand nicht selbstverständlich ist, sondern das Resultat von langer, harter Arbeit und vielen richtigen Entscheiden. Die Schweiz war immer die Heimat von Menschen, die gewillt waren, Verantwortung für sich und die Gemeinschaft zu übernehmen. Von Menschen, die ihr Schicksal selbstbewusst gestalten wollten. Dieses Erfolgsmodell möchte ich bewahren, modernisieren und in die Zukunft tragen.

Die Politik muss deshalb die richtigen Rahmenbedingungen und Anreize setzen, damit alle, die wollen, in unserem Land erfolgreich sein können. Und alle den Anreiz haben, ihr Potenzial zu entfalten, soweit es in ihren Möglichkeiten und Kräften liegt. Wenn sich Vollzeiterwerbsarbeit immer weniger lohnt, stimmt etwas nicht mehr in unserem Land. Wenn Private die Lust verlieren, neuen Wohnraum zu bauen oder bestehenden Wohnraum angemessen zu modernisieren, dann läuft etwas schief. Gefragt ist wieder mehr ausgewogene Balance. Es ist richtig, mit einem ausgewogenen Konzept Teilzeitarbeit in der Altersvorsorge besser zu versichern, vor allem für Frauen mit kleinen Kindern. Es ist aber eben so richtig und wichtig, uns zu überlegen, wie wir auch Vollzeiterwerbsarbeit wieder attraktiver machen können. Durch steuerliche Überlegungen etwa. Oder durch die Förderung der Entwicklungsmöglichkeiten von Menschen, die in unserem Land die duale Berufsbildung durchlaufen und überdurchschnittlich leistungsbereit sind. Es ist richtig, wenn sich Städte und Gemeinden Überlegungen machen, wie sie bspw. preisgünstigen Wohnraum fördern können. Die Forderung von privaten Bauherren nach akzeptablen Bewilligungsverfahrensdauern zur Erstellung von Wohnraum, ist jedoch ebenso ernst zu nehmen. Unser Land ist stark geworden durch das Miteinander von guten Ideen und Innovation, von Staat und Eigeninitiative. Zeit, uns dies in Erinnerung zu rufen und entsprechend zu handeln, auf allen Ebenen.