Damian Müller | Ständerat

Wegschauen ist keine Option

  • 23. Februar 2023
  • 5 min Lesezeit

Ein Interview im Seetaler Bote vom 23. Februar 2023.

Damian Müller (FDP) aus Hitzkirch gehört der Aussenpolitischen Kommission des Ständerates an. «Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist auch ein Angriff auf die internationale Rechtsordnung», erklärt er. Und die verhängten Sanktionen gegen Russland erachtet er als richtig.

Vor einem Jahr hat Russland mit einem offenen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?

Damian Müller: Ich war schockiert. Das schrecklichste aller Szenarien war eingetroffen. Bei uns in Europa herrscht wieder Krieg. Entsprechend gross war meine Fassungslosigkeit. Doch für mich stand rasch fest: Diesen Angriffskrieg von Russland beenden wir als Schweiz nicht, indem wir Kriegsmaterial an die Ukraine liefern. Dies ist nicht unsere Funktion in der Welt. Unsere Glaubwürdigkeit und Stärke liegen bei den «Guten Diensten». So organisierte Bundesrat Ignazio Cassis beispielsweise im Juli 2022 die «Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine» in Lugano. Dies war ein Erfolg, denn eine Nachfolgekonferenz gibt es nun dieses Jahr in London.

Sie gehören seit 2015 der Aus­senpolitischen Kommission des Ständerates an. Inwiefern hat der Krieg in der Ukraine, der wohl gra­vierendste bewaffnete Konflikt in Europa seit dem 2. Weltkrieg, ihre Arbeit in der APK verändert?

Der Ukraine-Krieg hat vermeintliche Gewissheiten infrage gestellt. Auch die Sensibilität für Sicherheit, Versorgungssicherheit oder humanitäre Hilfe wurde in der APK grösser. Als Mitglied der Aussenpolitischen Kommission erhalte ich regelmässig Factsheets zu den aktuellen Entwicklungen. Aber nicht nur für mich als Parlamentarier, sondern für die gesamte Schweizer Bevölkerung ist der schreckliche Krieg im Alltag sehr präsent.

Die Schweiz hat die Sanktions­pakete der EU übernommen. Ist diese Vorgehensweise Ihrer Meinung nach richtig?

Ja. In dieser Situation einfach wegzuschauen, ist keine Option. Denn wer im Krieg wegschaut, akzeptiert die schiere Kraft des Stärkeren. Die Schweiz beruft sich schliesslich auf die Menschenrechte und die Bestimmungen des Völkerrechts-Bestimmungen, die einzuhalten sich eigentlich auch der Aggressor Russland verpflichtet hat.

Wie steht es um die Neutralität der Schweiz mit der Übernahme dieser Sanktionen?

Es war richtig, die Sanktionen der Europäischen Union vollumfänglich zu übernehmen. Denn damit wird auch der geringste Anschein aus dem Weg geräumt, die westliche Welt wäre bezüglich der abscheulichen russischen Aggression nicht geeint. Wir durften nicht zum Umgehungsplatz von Sanktionen und damit zur Unterstützerin eines Aggressionskrieges werden. Die Sanktionen betreffen die Neutralität der Schweiz nicht. Im Gegenteil: Unsere Neutralität ist völkerrechtlich legitimiert. Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist auch ein Angriff auf die internationale Rechtsordnung. Die Schweiz muss sich für ihren Erhalt einsetzen, um neutral zu bleiben.

Die Schweiz ist international in Kritik geraten, weil sie die Wei­tergabe von Rüstungsgütern aus Schweizer Produktion anderen Ländern an die Ukraine untersagt. Was halten Sie davon?

Das geltende Schweizer Recht verbietet die Erteilung einer Export-Bewilligung von Rüstungsgütern in Kriegsgebiete. Das gilt auch für die Wiederausfuhr anderer Länder. Diese starre Regelung des Kriegsmaterialgesetzes schadet der Glaubwürdigkeit der Schweiz. Die FDP setzt sich deshalb für eine Anpassung ein. Der Vorschlag fordert, dass die Weitergabe von Rüstungsgütern nach einer Frist erlaubt würde und mit der Neutralität kompatibel ist. Leider wird dieser konstruktive Vorschlag von links und rechts torpediert.

An Saudi­Arabien, das in den Krieg im Jemen involviert ist, hat die Schweiz geliefert. Ist das richtig?

2006 wurden beispielsweise Sturmgewehre an Saudi-Arabien verkauft, dies ist korrekt. Aber wer wusste, dass es 2015 eine solche Konfliktsituation geben würde? Meines Wissens hat die Schweiz, nachdem sich Saudi-Arabien im Krieg im Jemen engagierte, keine Waffen mehr geliefert. Wir müssen uns aber gleichzeitig bewusst sein, dass es schwierig ist, vollständig zu kontrollieren, wohin die Waffen gehen, wenn diese einmal verkauft sind, wie das Beispiel der Schweizer Granaten zeigen, die in Libyen gefunden wurden. Wenn man keine Schweizer Waffen im Kriegsgebiet mehr will, darf man keine mehr verkaufen. Das ist die einzige Lösung. Dieses Szenario liegt aber weder in unserem Interesse noch in denjenigen Ländern, die sich gegen einen Angriff verteidigen wollen und wäre das Ende der bewaffneten Neutralität der Schweiz.

Gerade jetzt ist die Schweiz für zwei Jahre nichtständiges Mitglied des UNO­Sicherheitsrates. Ein Gre­mium, das aufgrund des Vetorechts ziemlich zahnlos ist. Was kann die Schweiz dort, wo Russland ein ständiges Mitglied ist, überhaupt ausrichten?

Im Ukraine-Krieg ist die Situation tatsächlich problematisch. Die UNO hat Regeln definiert, die nun ein Gründungs- und Veto-Mitglied mit Füssen tritt. Ansonsten aber ist der UNO-Sicherheitsrat handlungsfähig und ein wichtiges Gremium zur Friedenssicherung auf der Welt. Die Schweiz konnte sich beispielsweise bereits für die humanitäre Hilfe in Syrien starkmachen. Damit konnten wir für Millionen von Menschen in Syrien etwas bewirken. Fakt ist, die Schweiz geniesst Glaubwürdigkeit, weil sie mit allen Akteuren spricht. Ich bin überzeugt, dass es wirklich unsere Stärke ist, dass wir neutral sind und keine versteckte Agenda haben, wie andere Grossmächte.

Ein Ende des Krieges scheint nicht in Sicht, dennoch sollte es einst so weit kommen. Wie und wo sehen Sie Möglichkeiten für die Schweiz, aussenpolitisch beziehungsweise diplomatisch tätig zu werden oder sich zu positionieren?

Die Ukraine hat die Schweiz darum gebeten, gegenüber Russland als Schutzmacht aufzutreten. Dieses Angebot steht, und es kann sein, dass Russland zu einem späteren Zeitpunkt darauf eintritt. Im Moment glauben aber noch beide Seiten, dass sie diesen Krieg gewinnen. Derzeit gibt es schlicht kein Interesse an einer Vermittlung. Sobald der Krieg vorbei sein wird, könnte zum Beispiel die Schweiz ihr Fachwissen in der Übergangsjustiz oder im Bereich «dealing with the past», also in die Vergangenheitsbewältigung anbieten. Der Frieden wird nur dann dauerhaft sein, wenn er gerecht ist. Die Schweiz verfügt über eine enorme Erfahrung in diesem Bereich, die sie zur Verfügung stellen kann, um den Frieden dauerhaft zu sichern.