Damian Müller | Ständerat

Von Business as usual keine Spur

  • 19. März 2020
  • 6 min Lesezeit
  • Sessionsbericht - Frühlingssession 2020
  • Vernetzte Welt

Was Anfang Jahr unvorstellbar schien, ist Realität geworden: Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes wurde eine Parlamentssession vorzeitig abgebrochen. Der Grund ist COVID-19, das Coronavirus. Wichtige Entscheide konnten nicht gefällt werden.

Jetzt schreibt auch Damian Müller noch über das Coronavirus, werden Sie vielleicht denken. Viele haben genug vom Thema Coronavirus, dem Lockdown und den Schulschliessungen. Aber es muss sein: Ich schliesse mich den Aufrufen an, die der Bundesrat und sämtliche Parteien in den letzten Tagen unisono gemacht haben. Denn eines ist klar, diese neuartige Epidemie ist noch lange nicht ausgestanden. Schützen wir uns also vor COVID-19, indem wir die anderen schützen. Gehen wir nur aus dem Haus, wenn es dringend nötig ist.

Wichtige Geschäfte bleiben in der Warteschlange

Natürlich wäre es auch mir lieber gewesen, hätten wir die Session zu Ende führen können. Vor allem der Sache wegen. Zwei Geschäfte warten nämlich dringend auf ihre Erledigung. Ich rede vom CO2-Gesetz, über das der Nationalrat als Zweitrat befinden müsste. Denn das Klima wird nicht besser, wenn wir einfach nichts tun. Das Gesetz vermag zwar auch nicht die gesamte Klimafrage zu lösen, aber es ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Schade, dass dieser wichtige Entscheid nun einige Monate warten muss.

Zweitens rede ich von der Überbrückungsrente, die sich in der Differenzbereinigung befindet und vom National- und Ständerat abgeschlossen werden müsste. Dabei ist für mich der oft vorgebrachte Punkt, die Überbrückungsrente sei als Argument gegen die Zuwanderungsinitiative zu verstehen, zweitrangig. Die Überbrückungsrente darf kein taktischer Schachzug werden, dazu ist die Sache viel zu ernst. Es ist für mich viel wichtiger, dass wir Menschen, die ein Leben lang gearbeitet und die kurz vor der Pensionierung das Pech haben, ihre Arbeit zu verlieren, über die letzten Jahre vor der Rente unterstützen. Das müssen wir uns leisten können. Denn alles andere ist einem wohlhabenden Land wie dem unseren nicht würdig. Für mich ist klar, dass die Arbeitsintegration an erster Stelle steht. So wie das Gesetz im Augenblick ausgestaltet ist, kommen rund 3300 Menschen in den Genuss einer solchen Rente. Zurzeit rechnen wir mit einer Investition von 150 Millionen. Morgen könnten es aber schon viel mehr Menschen sein, die in eine schwierige Situation kommen. Denn je länger das Coronavirus wütet, umso schwieriger wird auch die wirtschaftliche Situation. Und ich befürchte, dass die 10 Milliarden Franken, die der Bundesrat als Soforthilfe gesprochen hat, nicht reichen dürften.

Aussenwirtschaftspolitik im Zentrum

Traditionell ist die Märzsession auch die Session der Berichte. Es ist Aufgabe des Parlamentes als Aufsichtsorgan über den Bundesrat, die Berichte über dessen Tätigkeit des letzten Jahres zu diskutieren und allenfalls entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Auch hier blieb einiges liegen. Mir fiel in diesem Jahr die Ehre zu, den Aussenwirtschaftsbericht zu präsentieren. Zentrales Kapitel sind Überlegungen zur Frage, wo die Schweiz bezüglich Digitalisierung im internationalen Vergleich steht. Der Bericht kommt zum Schluss, dass wir nicht schlecht aufgestellt sind, aber ohne grössere Anstrengungen den Anschluss schnell verlieren könnten. Der Bericht stellt auch fest, dass der Protektionismus im letzten Jahr zugenommen hat. Immer mehr Länder ziehen sich hinter die eigenen Grenzen zurück; auch bei uns gibt es Kreise, die in diese Richtung gehen wollen. Das zeigte sich ganz konkret bei der Diskussion um zwei Standesinitiativen im Zusammenhang mit dem Freihandelsvertrag mit den Mercosurstaaten, also mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Diesen Vertrag hat die Schweiz im Namen der EFTA-Staaten ausgehandelt und im letzten August abgeschlossen. Der Kanton Jura verlangte daraufhin, dass nachträglich die Landwirtschaftsprodukte aus dem Vertrag ausgeschlossen werden, der Kanton Genf wollte das Abkommen dem fakultativen Referendum unterstellen. Diese Standesinitiative wurde sozusagen überflüssig, hatte Bundesrat Guy Parmelin das fakultative Referendum von sich aus schon in Aussicht gestellt. Anders verhält es sich mit dem jurassischen Vorstoss. Dieser wurde nach kurzer Diskussion abgelehnt, denn eine Annahme hätte bedeutet, dass das ganze Abkommen hinfällig geworden wäre. Nach den international vereinbarten Regeln müssen Freihandelsabkommen nämlich umfassend sein, das heisst, es geht nicht, einzelne Branchen oder Wirtschaftszweige auszuschliessen. Generell sind wir der Meinung, dass es zum heutigen Zeitpunkt keine zusätzlichen Massnahmen braucht. Entscheidend ist eine gute Grundlage, auf der das Parlament jetzt einfach etwas später entscheiden kann.

Gute Nachrichten für kranke Jugendliche – schlechte für Autofahrer

Neben den aussenpolitischen Geschäften, von denen die Behandlung des aussenpolitischen Berichts der Abkürzung der Session zu Opfer gefallen ist, hatte sich der Rat mit zahlreichen persönlichen Vorstössen zu befassen. Auf zwei davon möchte ich noch etwas näher eingehen. Erstens hat der Ständerat einstimmig meine Motion überwiesen, mit der ich vom Bundesrat verlange, dass die IV die Hälfte der Kosten für Assistenzhunde von jungen Menschen übernehmen muss. Das ist eine gute Nachricht insbesondere für jene, die an Epilepsie leiden. Meine Motion geht nun noch an den Nationalrat, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass sie auch in der zweiten Kammer unterstützt wird.

Kein Gehör aber fand leider meine Motion, die verlangte, dass ein Konzept ausgearbeitet würde, wann und wie all jene Strassenbenützerinnen und -benützer an den Strassenkosten beteiligt werden sollen, die mit Fahrzeugen unterwegs sind, die weder von Diesel noch von Benzin angetrieben werden. Natürlich ist die Zahl der Verkehrsteilnehmer, die mit Elektrofahrzeugen, mit Hybriden, mit Gasantrieben oder was es alles sonst noch gibt, unterwegs sind, noch recht bescheiden. Alle diese Verkehrsteilnehmer bezahlen heute nichts an den Bau und den Unterhalt der Strassen. Das ist aktuell auch unproblematisch. Wenn aber der Umbau der Flotte so vorangeht, wie das die Prognosen voraussagen – wenn also der Anteil der nicht-diesel- oder benzinbetriebenen Fahrzeuge stark zunimmt – dann kommt der Punkt, an dem das Geld für den Strassenfonds fehlen wird. Genau für diesen Punkt wollte ich, dass vorgesorgt wird. Schade, dass das nun nicht passiert. Denn ich meine, regieren heisst auch vorausschauen. Die Absage an meine Motion war leider das Gegenteil.

Wie weiter?

Eines ist klar: Eine so abrupt und unvorhergesehen um einen Drittel gekürzte Session hat weitreichende Konsequenzen. Vieles bleibt unerledigt, vieles wird auf eine Bank geschoben, bei der man heute noch nicht genau weiss, wie lange sie am Ende sein wird. Niemand weiss heute, wann wir wieder zur Normalität zurückkehren können, nicht in der Wirtschaft, nicht in der Bildung und Erziehung, nicht im Sport und auch nicht in der Politik. Wir wissen nur, dass nach dieser weltweiten Gesundheitskrise nichts mehr so sein wird, wie es einmal war.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen in erster Linie gute Gesundheit, aber auch Gelassenheit, diese Ausnahmesituation zu ertragen. Und ich appelliere eindringlich an Sie, halten Sie sich an die Vorgaben und Ratschläge der Behörden. Diese erfüllen ihre Aufgabe mit grossem Verantwortungsbewusstsein. Verantwortung ist nun von uns allen gefragt. Seien wir bereit, sie zu übernehmen.

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