Damian Müller | Ständerat

«Vieles wird anders sein in der Schweiz»

  • 30. April 2020
  • 6 min Lesezeit
  • Interview im Seetaler Bote
  • Zuversicht

CORONAKRISE. Der Hitzkircher Damian Müller ist Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats. Im Gespräch spricht sich der FDP-Politiker für mehr internationale Zusammenarbeit aus und mahnt, dass man trotz der Lockerungen des Lockdowns vorsichtig bleiben muss.

Damian Müller, wie viele Male pro Tag waschen Sie sich die Hände?

Ich zähle nicht, aber da kommen schon ein paar Male zusammen. Schade finde ich aber, dass man sich dennoch die Hände nicht reichen kann.

Tragen Sie eine Maske?

Nein.

Wie haben Sie den Lockdown bisher erlebt?
Die ersten Wochen waren brutal. Zuerst haben mich zahlreiche Unternehmer kontaktiert und um Hilfe gebeten, weil sie Angst um die Existenz hatten. Nun kommen vermehrt die Arbeitnehmer, welche ihren Job verlieren. Deshalb habe ich viel mit der Verwaltung gesprochen und versucht, Lösungen zu vermitteln.

Welche Note geben Sie dem Bundesrat bei der bisherigen Bewältigung der Coronakrise?
Ich habe den Bundesrat als ein Gremium erlebt, der mit grossem Willen und Engagement versucht hat, das Land mutig durch die schwerste Krise der letzten Jahrzehnte zu führen. Ob alles verhältnismässig war, werden wir aber erst in einigen Monaten oder Jahren sehen.

Sie sind Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats (APK) und sind in dieser Funktion oft im Ausland unterwegs. Was bedeutet die Coronakrise für die Kommissionsarbeit?

Seit März sind alle internationalen Projekte sistiert, Treffen wurden abgesagt, Reisen sind unmöglich. Deshalb finden Kontakte telefonisch statt oder über Videokonferenzen, wie beispielsweise die Sitzung vom letzten Donnerstag im Rahmen der EU-EFTA-Delegation. Dann hatte ich Gespräche mit Bundesrat Cassis, der mit seinem Departement bei der Rückführung von fast 7000 Schweizerinnen und Schweizern in die Heimat eine grossartige Arbeit geleistet hat. Die Arbeit in der APK nehmen wir am 14. Mai wieder auf, wo wir die Sommersession vorbereiten werden.

Wie schätzen Sie die Coronakrise im internationalen Kontext ein?

Die Folgen werden gravierend sein. Das wird auch Auswirkungen auf unsere Entwicklungszusammenarbeit haben. Neben einer verstärkten humanitären Hilfe wird es ganz zentral sein, die Wirtschaft ärmerer Länder beim Wiederaufbau zu unterstützen. Denn nur so wird es möglich sein, Flüchtlingsströme zu verhindern oder möglichst klein zu halten. Die Menschen brauchen in ihrem Land Perspektiven.

Im Moment versucht jedes Land, die Krise selber zu lösen. Das Virus kennt aber keine Grenzen. Bräuchte es jetzt nicht mehr internationale Zusammenarbeit?

Es ist verständlich, dass jeder zuerst für sich schaut. Das war international nicht anders als in unserem Land, wo die Kantone unterschiedlich reagiert haben. Aber bereits jetzt sehen wir, wie in Europa eine Solidarität über die Landesgrenzen hinaus entsteht.

Also braucht es mehr internationale Zusammenarbeit statt nationale Alleingänge?

Die Pandemie zeigt klar, wie sehr die Länder miteinander verflochten sind. Nehmen wir die Impfstoffe, die Beatmungsgeräte, ja selbst die Produktion von Gesichtsmasken, geht es nicht ohne internationale Zusammenarbeit. Auch wenn der Ruf nach Autonomie laut ist, denke ich nicht, dass ein Land mit acht Millionen Einwohnern eine eigenständige Industrie für solche Krisenlagen aufbauen und unterhalten kann. Die internationale Arbeitsteilung ist aber auch eine grosse Chance für unser Land und seine hervorragend aufgestellte Pharma- und Medizinaltechnologie. Voraussetzung sind stabile internationale Verhältnisse.

Sie haben vorgeschlagen, dass die kommende Session des Bundesparlaments in der Messe Luzern durchgeführt wird. Warum?

Das Bundeshaus ist nicht geeignet, Sitzungen unter den heute nötigen Abstandsbedingungen durchzuführen. Deshalb habe ich die Messe Luzern ins Spiel gebracht. Hier könnte mit einem verhältnismässig günstigen Aufwand eine Tagungsinfrastruktur bereitgestellt werden. Die Messe Luzern hat für drei Wochen Kosten von 1,6 Millionen Franken offeriert, das ist gerade mal halb so viel wie die fünftägige Sondersession vom kommenden Mai in der Bernexpo, die 3,125 Millionen kosten wird. Zudem liegt Luzern zentral, hat eine gute Beherbergungsinfrastruktur und ist für alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier bestens erreichbar. Am 1. Mai entscheidet die Verwaltungsdelegation definitiv.

Der Bundesrat macht momentan einen guten Job. Warum muss das Parlament zusammenkommen?

Dass der Bundesrat jetzt mit Notrecht gemäss Pandemiegesetz gearbeitet hat, ist absolut richtig. Nun sollte diese Phase des Notrechts beendet und in die gewohnte Form demokratischer Führungsarbeit zurückgeführt werden.

Was können Sie als Ständerat zur Bewältigung der Coronakrise beitragen?

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit hat dreimal mit den Bundesräten Parmelin und Berset getagt. Wir wurden also seit Mitte April in die Entscheide einbezogen, unsere Bedenken und Anträge wurden in die Entscheide der Regierung einbezogen und die Verordnungen regelmässig geändert.

Einige Politiker kritisieren, dass die Experten, wie Epidemiologen und Virologen, zu viel zu sagen hätten. Teilen Sie diese Meinung?

Nein, denn für mich zählen die Fakten. Hätte, wäre, wenn ist eine Schlaumeierei von denen, die nicht in der Verantwortung stehen. Schliesslich braucht es nach der Coronakrise auch eine genaue Analyse der Situation. Ich möchte Antworten auf Fragen wie: Warum gab es einen Mangel an überlebenswichtiger Schutzbekleidung? Warum hatten wir nicht genügend Testkapazitäten? Oder warum haben die Pflichtlager ihre Sollbestände nicht aufgewiesen? Wir müssen dabei keine Schuldzuweisungen vornehmen, sondern die richtigen Schlüsse ziehen.

Es ist klar, dass die Politik wieder mitreden will. Ist es aber nicht heikel, wenn Politiker jetzt rasche Lockerungen des Lockdowns fordern, dadurch aber die Gesundheit der Menschen gefährdet wird, zum Beispiel der Verkäuferinnen und Verkäufer?

Das ist in der Tat ein ausserordentlich schwieriger Entscheid. Solange kein Impfstoff besteht, müssen wir sehr vorsichtig sein. Wo aber die Gesundheits- und Hygienemassnahmen eingehalten werden können, sollte gearbeitet werden können. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Ansteckungen wieder zunehmen und es zu einer zweiten Welle kommt. Genau deshalb ist Vorsicht oberste Priorität. Eine weitere Welle wäre dramatisch.

FDP-Präsidentin Petra Gössi kritisierte im «Tagesanzeiger» den Bundesrat. Sie hätte eine raschere Lockerung begrüsst. Sie fordert gar regionale Lösungen für die Lockerung. Ein kantonaler Flickenteppich scheint aber wenig sinnvoll.

Die Stärke des Föderalismus ist, regional angepasste Lösungen zu finden. So ist es verständlich, wenn die Kantone Tessin und Genf, die überdurchschnittlich betroffen waren, eher später öffnen wollen. Die Lösung heisst, so dezentral wie möglich, so zentral wie nötig.

Auch die SVP fordert eine rasche Lockerung. Die FDP und SVP-Bundesräte könnten dies durchsetzen, sie sind in der Mehrheit. Sind die Bundesräte besonnener als ihre Parteien?

Die Landesregierung muss Lösungen bringen, da ist Sachpolitik angesagt. Parteipolitische Profilierungen haben da keinen Platz.

Wird die Coronakrise die Schweizer Politik verändern?

Ja, vieles wird anders sein in unserer Schweiz. Nehmen wir unsere Staatsfinanzen. Aktuell verlieren täglich 2000 Menschen in unserem Land ihre Stelle, trotz des Einsatzes von Milliarden für Kurzarbeit, mit der die Jobs eigentlich gesichert werden sollten. Nicht ausgeschlossen, dass bald 300 000 oder mehr Personen keine Stelle mehr haben. Das hat zahlreiche finanzielle Auswirkungen. Einerseits werden Sozialausgaben wichtiger, gleichzeitig gehen aber die Steuereinnahmen zurück. Corona wird dazu führen, dass wieder vermehrt Gewicht auf die Sicherung des Erreichten gelegt und auf neue Ausgaben verzichtet werden muss. Bereits das Notwendige zu erhalten, wird ein grosser finanzieller Kraftakt werden. Die Sozialwerke lassen grüssen.

Was das Thema Digitalisierung angeht, sind Sie jeweils am Puls der Zeit. Verleiht die Coronakrise der Digitalisierung einen Schub?

Die letzten Wochen haben unsere Welt schneller digitalisiert als die letzten fünf Jahre zusammen. Vor allem können wir heute aus Erfahrung sagen, wo sich der Einsatz von digitaler Technologie lohnt und wo nicht.

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