Damian Müller | Ständerat

Rentensystem an die Realität anpassen

  • 24. November 2022
  • 5 min Lesezeit
  • Solidarität

Mit der Reform der beruflichen Vorsorge sollen die Renten gesichert, die Finanzierung gestärkt und die Absicherung von Teilzeitbeschäftigten – und damit insbesondere von Frauen – verbessert werden. Ein Beitrag in den Luzerner Landzeitungen

Mit dem Ja zur AHV 21 hat das Stimmvolk einen ersten Schritt zur Sicherung der Sozialwerke getan. Doch das knappe Ja hat auch gezeigt, dass Reformprojekte breit abgestützt sein müssen, um die Abstimmungshürde, die bei sozialpolitischen Vorlagen besonders hoch ist, zu überwinden. Gerade die Frauen verfolgen die laufenden Gesetzesrevisionen kritisch. Ein Alter in Würde – dazu gehört auch eine gute finanzielle Absicherung – geniesst generell einen hohen gesellschaftlichen Wert.

Einer der Kernpunkte der Reform betrifft die Senkung des Mindestumwandlungssatz von heute 6.8 auf 6 Prozent. Auf 100 000 Franken obligatorisch angespartes Alterskapital würden künftige Rentnerinnen und Rentner dadurch nur noch 6000 Franken statt 6800 Franken Rente pro Jahr erhalten. Oder anders gesagt: die Renten würden um rund 12 Prozent sinken.

Diese Anpassung der Parameter sei unerfreulich, aber aufgrund der demografischen Alterung nötig, sagt Damian Müller, Luzerner FDP-Ständerat und Vizepräsident der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-S). «Eigentlich müsste der Umwandlungssatz sogar deutlich unter 6 Prozent gesenkt werden, um die Realität abzubilden. Umso wichtiger ist die nun vorgeschlagene moderate Senkung.», so Müller, und fügt aber sogleich an: «Das Rentenniveau muss aber gesichert sein.»

Erhöhung der Sparquote erreichen

Um die drohende Renteneinbusse, die durch diesen Schritt für die Versicherten entsteht, zu kompensieren, braucht es rund 13 Prozent mehr Sparkapital. Dazu muss der versicherte Verdienst, auf dem die Beiträge bezahlt werden, erhöht werden. Eine Möglichkeit, um das zu erreichen, ist die Senkung des Koordinationsabzugs: Heute werden Einkommen bis 86’000 Franken gemäss BVG gesetzlich versichert. Von dieser Summe werden 25’000 Franken als sogenannter Koordinationsbeitrag abgezogen. Beiträge werden also nur auf gut 60’000 Franken bezahlt. Würde der Koordinationsabzug halbiert, wie das der Bundesrat und der Nationalrat sowie eine Minderheit der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) vorschlagen, erhöht sich der versicherte Verdienst um rund 12`500 Franken pro Jahr. Damit liesse sich auch eine Reduktion des Umwandlungssatzes von heute 6,8 Prozent auf 6 Prozent mittelfristig kompensieren.

Als zweite Massnahme sollen die heute nach Alter gestaffelten vier Beitragsstufen auf deren zwei reduziert werden. Damit würde es für Erwerbstätige ab Alter 45 künftig bei den Abzügen für die berufliche Vorsorge keinen Anstieg mehr geben, was die Arbeitsmarktfähigkeit älterer Mitarbeitender verbessert.

Ein weiteres wichtiges Ziel der Reform ist die Erhaltung des Rentenniveaus auch für die Übergangsgeneration. Dazu zählen Menschen, die wenige Jahre vor ihrer Pensionierung stehen. Für sie reichen die vorgenannten Massnahmen nicht aus, um das fehlende Alterskapital alleine anzusparen, weil ihnen nur noch wenige Jahre bleiben bis zur Pensionierung. Für sie sind deshalb zusätzlich Kompensationszahlungen vorgesehen. Damit sollen Renteneinbussen auch in diesen Jahrgängen vermieden werden.

Der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrates sah Kompensationen im Umfang von 30 Milliarden Franken vor. Ende 2021 reduzierte der Nationalrat die Summe auf neun Milliarden Franken. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats will diesen Betrag wiederum auf elf Milliarden anheben. «Zu Recht», wie Damian Müller erklärt. «Mit dem Vorschlag des Nationalrates würde selbst Erwerbstätigen mit tieferen Einkommen im Pensionierungszeitpunkt die Rente gekürzt. Wir sprechen hier von Menschen, die heute zwischen 45 und 50 Jahren alt sind und deren Renten dereinst vielleicht 1000 Franken pro Monat betragen werden. Ihnen ist eine Rentenkürzung von vielleicht 50 Franken pro Monat nicht zumutbar».

BVG-Renten sind in der Realität heute schon tief

Tatsächlich sind die meisten BVG-Renten eher tief: Die höchste Rente im Obligatorium beträgt rund 1750 Franken pro Monat. Gut zwei Drittel aller Versicherten – selbst mit freiwillig angespartem überobligatorischem Kapital – können mit einer Rente von maximal rund 2000 Franken monatlich rechnen. In der Realität erhalten viele Menschen sogar Renten, die kaum höher sind als rund 1000 Franken pro Monat. Werden diese noch gekürzt, müsste ein Grossteil der Ausfälle durch Ergänzungsleistungen zur AHV finanziert werden – die Kosten hätten also die Steuerzahlerinnen und -zahler zu tragen.

Was die Langfristmassnahmen anbelangt, liegen derzeit verschiedene Varianten auf dem Tisch. Jene der Mehrheit der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates ist dabei – nach dem Vorschlag des Nationalrats – am zweitteuersten. Dies aufgrund des stark sinkenden Koordinationsabzugs. Die Variante der Kommissionsmehrheit gegenüber jener der Kommissionsminderheit führt zu fast 12 Milliarden Franken zusätzlicher Kosten. Diese Summe würde insbesondere die KMU- und Gewerbewirtschaft massiv treffen. Besonders davon betroffen wären KMU, Gewerbe und Bauern und ihre Angestellten im Tieflohnbereich.

Mit einem Einkommen von beispielsweise 30000 Franken jährlich würden sich die Lohnabzüge gegenüber heute beinahe versiebenfachen. Die Angestellten hätten entsprechend schmerzliche Lohnreduktionen von mehreren Dutzend Franken pro Monat zu verkraften, ihre Arbeitgeber müssten nochmals so viel zusätzlich drauflegen. Und dies für Renten, die nach 40 Beitragsjahren trotzdem deutlich unter 1000 Franken pro Monat liegen würden. An der Ergänzungsleistungs-Abhängigkeit im Alter würde sich für diese Erwerbstätigen nichts ändern. Das wäre ein gerade auch für Frauen in Teilzeit und in typischen Tieflohnbranchen ein schlechtes Geschäft.

Auch was die Kosten der Übergangsgeneration anbelangt, gibt es in der ständerätlichen Kommission noch mehrere Vorschläge. «Ein wichtiger Unterschied zwischen der Mehrheit der SGK-S und deren Minderheit besteht darin, dass mit den Zahlungen an 20 statt nur an 15 Jahrgänge dafür gesorgt würde, dass es wirklich keine Renteneinbussen gibt für Menschen mit kleinen Renten», führt Damian Müller aus.

Tiefere Eintrittsschwelle senkt Hürden für Teilzeitbeschäftigte

Mit einer weiteren Massnahme sollen Teilzeitbeschäftigte besser versichert werden. Sie sollen von der Senkung der Eintrittsschwelle, die heute bei 21 510 Franken liegt, profitieren. Konkret heisst das: Erst ab diesem Betrag ist heute das erzielte Einkommen versichert.

Nach dem Willen der Mehrheit der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats soll die Eintrittsschwelle aber nur auf 17’208 Franken und nicht auf 12’548 Franken sinken, wie es der Nationalrat will.  Damian Müller räumt ein, «dass dadurch zwar ein erheblicher administrativer Mehraufwand entsteht». Dieser sei jedoch im Vergleich zur nationalrätlichen Version vertretbar. 300 Millionen Franken mehr für unnötige Bürokratie aufgrund des nationalrätlichen Vorschlags wären hingegen nicht verhältnismässig, ist er überzeugt. Er hofft deshalb, dass sich in diesem Punkt letztlich die Lösung der SGK-S durchsetzen wird.

Der Vorschlag des Nationalrats liegt bereits auf dem Tisch. Nun wird der Ständerat in der ersten Woche der Wintersession, Dienstag 29. November, über die berufliche Vorsorge (BVG), die so genannte 2. Säule debattieren.