Damian Müller | Ständerat

Noch nicht ganz Normalbetrieb

  • 23. Dezember 2019
  • 7 min Lesezeit
  • Sessionsbericht - Dezembersession 2019
  • Vernetzte Welt

Allen grossen Erwartungen nach den Wahlen zum Trotz hat die neue Legislatur begonnen wie die alte aufgehört hat. Der neue Bundesrat ist der alte und bei den meisten Sachgeschäften gab es keine überraschenden Entscheidungen. Die Firma Pilatus in Stans kann weiterhin ihre Dienstleistungen anbieten und Kinder erhalten mehr Behandlungszeit, wenn sie zum Arzt müssen.

Was wurde nicht alles geschrieben, gerätselt und spekuliert. Und dann das. Als ob es die natürlichste Sache der Welt wäre, wurde unser Aussenminister Ignazio Cassis in seinem Amt als Bundesrat bestätigt. Damit bleibt von der Bundesratswahl vorerst nichts anderes zurück als die Erinnerung an ein bisschen mediale Hektik. Die Politik im realen Alltag ist halt viel weniger spektakulär als manche es gerne hätten.

Bundesrat bleibt in der heutigen Zusammensetzung

Natürlich ist die Frage erlaubt, wie eine Regierung idealerweise zusammengesetzt sein soll. Für mich ist klar, die Parteizugehörigkeit sollte dabei nur eines von mehreren Kriterien sein. Die sogenannte Zauberformel, die nur die Parteienstärke berücksichtigt, sollte mit weiteren Kriterien ergänzt werden. Der Bundesrat ist schliesslich nicht einfach das Abbild des Parlamentes und hat auch ganz andere Aufgaben. Als Landesregierung muss der Bundesrat zwangsläufig eine etwas breitere Sicht haben als sich dies eine Partei erlauben kann. Bei der Zusammensetzung des Bundesrats ist eine entsprechende Vertretung der Landesteile und der Geschlechter von grosser Bedeutung. Nur schon deshalb wäre es ein grober Fehler gewesen, wenn man den Vertreter des Kantons Tessin nach so kurzer Zeit aus dem Amt gejagt hätte, man hätte die Regierung um eine ganz wesentliche Perspektive beraubt. Ganz abgesehen davon, dass es den politischen Gepflogenheiten unseres Landes nicht entspricht, amtierende Bundesräte abzuwählen. Nun, bekanntlich waren die Wahlen schnell abgehakt. Noch ein bisschen Wunden lecken bei den einen, ein paar Zukunftsdiskussionen bei den anderen, dann war die Sache gegessen. Und wir konnten uns wieder unserer eigentlichen Arbeit zuwenden, der Behandlung unserer Geschäfte.

Meine Verantwortung im Ständerat

Mir wurde die Ehre zuteil, das Präsidium der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Ständerats zu übernehmen. In dieser Funktion leite ich ab jetzt die Sitzungen der APK für die kommenden zwei Jahre. Für mich ist die APK zu einer der zentralen Kommissionen geworden, denn immer öfter haben innenpolitische Entscheide eine aussenpolitische Dimension. Natürlich gilt das in noch viel grösserem Masse umgekehrt. In dieser Session habe ich immer wieder das Wort ergriffen, wenn wir Fragen über Länder wie Indonesien, Malaysia und China oder auch über die EU diskutiert haben. Neben der Aussenpolitischen Kommission, bin ich auch Mitglied der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie, der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, der Staatspolitischen Kommission sowie Mitglied der EU / EFTA Delegation. In allen Kommissionen stehen spannende Themen und Diskussionen an. Ich freue mich darauf!

Chinastrategie wichtig für die Zukunft

In der zweiten Sessionswoche diskutierte der Rat eine Motion des sozialdemokratischen Nationalrats Fabian Molina, der vom Bundesrat verlangte, er solle eine Chinastrategie ausarbeiten. Natürlich ist nichts gegen eine Chinastrategie einzuwenden, im Gegenteil. Dennoch habe ich mich gegen die Motion von Molina ausgesprochen. Der Grund: Der Bundesrat hat von sich aus schon eine solche Strategie in Aussicht gestellt. So würden wir offene Türen einrennen, wenn wir mit Verzögerung einen Auftrag erteilen würden, an dem schon gearbeitet wird. Als Präsident der aussenpolitischen Kommission werde ich das Thema regelmässig traktandieren.

Wohlstand und Arbeitsplätze gefährdet

Viel wichtiger aber waren zwei andere aussenpolitische Themen: Das klare Nein des Ständerats zur Kündigungsinitiative und das klare Ja zum Freihandelsabkommen mit Indonesien. Die Kündigungsinitiative hat die Aufhebung der Personenfreizügigkeit mit der EU zum Ziel. Ein Ja zur dieser Initiative wäre verheerend für unser Land, da es in eh schon nicht stabilen wirtschaftlichen Zeiten die Unsicherheit für unsere Exportwirtschaft noch grösser werden liesse. Das würde sich wiederum auf unseren Wohlstand auswirken, nicht kurz-, aber mittelfristig. Daran ändert zwar ein Freihandelsabkommen mit Indonesien nicht viel, doch ist es sehr wertvoll, in einem weiteren asiatischen Markt eine Türe etwas aufgestossen zu haben. Mir ist natürlich bewusst, dass gerade in dieser Region Palmöl ein sensibles Thema ist. Deshalb bin ich sehr zufrieden, dass es unseren Handelsdiplomaten gelungen ist, ein Kapitel ins Abkommen zu integrieren, das Indonesien verpflichtet, nachhaltiger zu werden.

Schliesslich noch ein Wort zu einem Thema, das für die Region Innerschweiz von grosser Bedeutung ist, insbesondere für die Kantone Luzern, Uri und natürlich Ob- und Nidwalden. Es geht um die Causa Pilatus Flugzeugwerke, die entstanden ist, weil zwei Departemente ganz unterschiedlich mit den bestehenden rechtlichen Grundlagen betreffend Kriegsmaterialexporten umgehen. Während das eine Departement bezüglich des Verkaufs von Pilatus-Flugzeugen nach Saudi-Arabien kein Problem gesehen hat, beurteilte das andere Departement Serviceleistungen an eben diesen Flugzeugen als eine Verletzung geltenden Rechts und verklagte die Firma Pilatus. Wäre die Klage durchgekommen, hätte das womöglich bedeutet, dass Pilatus Dutzende von Stellen ins Ausland verlegt hätte. Dutzende von Stellen, die im Inland Arbeit und Einkommen ermöglichen. Dass es so nicht gehen kann, war uns im Ständerat sofort klar. Zwar hat auch der Bundesrat festgestellt, dass da etwas nicht ganz so gelaufen ist, wie es sollte. Er wollte aber nur die schwächere Form eines Postulates annehmen. Nun, es ist anders gekommen. Mit grosser Mehrheit hat der Ständerat eine Motion von Kollege Hans Wicki überwiesen. Wir wollen nicht, dass nochmals geprüft wird, wir wollen, dass gehandelt wird. Weil zwei subalterne Abteilungen in zwei Departementen nicht wirklich miteinander kommunizieren, wurde schon genug Geschirr zerschlagen. Jetzt geht es darum, entstandene Unsicherheiten zu beheben.

Sozialpolitik stand im Zentrum

Als Sozialpolitiker standen für mich in dieser Session zwei Themen im Zentrum: Die bundesrätliche Vorlage für eine Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose und meine Motion, mit der ich mehr Behandlungszeit für Kinder verlangte. Zur Überbrückungsrente: Meiner Meinung nach darf es in unserem reichen Land nicht sein, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, finanziell bestraft werden, wenn sie mit 55 oder 60 arbeitslos werden, keine Stelle mehr finden und ausgesteuert werden. Soweit war sich der Rat einig, und er befürwortet im Grundsatz eine Überbrückungsrente. Uneinig war er, was ihre konkrete Ausgestaltung angeht. Wir haben aber eine mögliche Lösung skizziert. Nun geht das Geschäft an den Nationalrat und wir werden noch intensiv daran arbeiten müssen. Wichtig ist zu verhindern, dass die Gewerkschaften uns erpressen, indem sie nur gegen die Kündigungsinitiative kämpfen, wenn wir in Sachen Überbrückungsrente ein neues System einführen, welches den Mittelstand rund 250 bis 300 Millionen, alljährlich wiederkehrend, kostet.

Was das zweite Thema angeht, die Behandlungszeit von Kindern, die zum Arzt gehen müssen, ist der Rat meiner Argumentation gefolgt und hat entgegen der Haltung des Bundesrates meine Motion überwiesen. Auch diese geht nun an die zweite Kammer. Worum geht es? Wir wissen alle, dass Kinder nicht einfach kleine Erwachsene sind. Kinder brauchen eine andere Zuwendung, wenn sie zum Arzt gehen müssen, vor allem brauchen sie mehr Zeit. Diese Zeit kann aber nach dem heutigen Tarifsystem nicht entsprechend abgerechnet werden. Also kommt es immer wieder zu Fällen, in denen sich die Ärzte für die Behandlung von Kindern nicht die Zeit nehmen, die sie sich eigentlich nehmen müssten. Wenn nun meine Motion auch im Nationalrat angenommen wird, kann diese Zeit für Kinderbehandlungen neu angemessen verrechnet werden.

Die Sicherheit der Schweiz steht auf dem Spiel

Schliesslich hat der Rat einen sicherheitspolitisch weitsichtigen und bedeutenden Entscheid getroffen. Er hat dem Kauf neuer Kampfjets in der Höhe von 6 Milliarden Franken zugestimmt. Dass die Kompensation nicht auf 100 Prozent angesetzt wurde, wie wir das im Ständerat gerade hinsichtlich der Industrie in der Romandie beschlossen hatten, sondern nur auf 60 Prozent, wie dies der Bundesrat vorschlug, ist zwar ein kleiner Wermutstropfen. Wichtig ist aber, dass jetzt wirklich vorwärts gemacht werden kann mit der Flugzeugbeschaffung, auch wenn Linke und Grüne das Referendum angekündigt haben. Ich bin überzeugt, eine Mehrheit der Menschen in unserem Land will auch künftig eine starke Landesverteidigung und wird deshalb den Flugzeugkauf unterstützen.

Gestatten Sie mir zum Schluss, ein kurzes Fazit dieser ersten Session in der neuen, der 51. Legislatur zu ziehen und eine erste, vorläufige Antwort auf die Frage zu geben, ob das Ergebnis der Oktoberwahlen auch in Bern angekommen ist. Sicher, das Parlament ist etwas jünger, weiblicher und grüner geworden. Wirklich ausgewirkt hat sich das bisher allerdings noch nicht. Das hat mehrere Gründe. So müssen sich die neuen Ratsmitglieder erst an den Ratsbetrieb gewöhnen und in die zahlreichen Themen einarbeiten, in Themen, die in den alten vorberatenden Kommissionen schon weitgehend durchdiskutiert und verhandelt worden sind. Zweitens ist die Wintersession thematisch wenig auf die eher grünen Themen ausgerichtet, im Winter geht es in erster Linie um die Behandlung des Budgets. Und schliesslich sagt ein ungeschriebenes Gesetz, dass man in seiner ersten Session noch nicht das Wort ergreift. Daran haben sich fast alle neuen gehalten. Irgendwie war es «Normalbetrieb», nur noch nicht ganz.

Damian Müller | Ständerat

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