Damian Müller | Ständerat

Mich stört die fehlende Kompromissbereitschaft immer mehr

  • 11. April 2024
  • 6 min Lesezeit

Im Interview mit der Plattform J sprach ich über meine Rolle als SGK-S Präsident, die Finanzierung der 13. AHV und die drei Hebel, um die AHV langfristig zu sichern.

Herr Müller, das Stimmvolk hat einer 13. AHV-Rente ohne wenn und aber zugestimmt. Bundesrat und Parlament müssen nun umsetzen. Wie finanzieren Sie diese 13. Rente?

Im Moment geistern zu viele Ideen herum, die teilweise kaum durchdacht sind. Als Präsident der ständerätlichen Kommission für Soziales und Gesundheit stört mich das. Wir müssen unterscheiden zwischen der kurzfristig nötigen Finanzierung der 13. AHV-Rente und der längerfristigen Sicherung der AHV-Finanzierung. Kurzfristig stehen nur Ansätze zur Verfügung, die erprobt sind: Lohnbeiträge oder Mehrwertsteuer. Von der 13. AHV-Rente profitieren die Rentnerinnen und Rentner. Es kann deshalb nicht sein, dass nur die Lohnabgaben erhöht werden und damit die Arbeitnehmenden – also insbesondere auch die Jungen – sowie die Arbeitgeber für die Zusatzrente aufkommen müssen. Die einzig faire Lösung ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Damit tragen auch die Rentnerinnen und Rentner ihren Beitrag zur Finanzierung bei.

Höhere Mehrwertsteuer – auf immer und ewig?

Nein. Die Erhöhung muss befristet werden bis Ende 2029. Denn ab 2030 soll die strukturelle Revision greifen, mit der die AHV langfristig gesichert werden soll. Das Parlament hat den Bundesrat längst damit beauftragt, per 2026 eine entsprechende Vorlage auf den Weg zu schicken. Bis in zehn Jahren fehlen der AHV mehr als 7 Milliarden Franken, pro Jahr! In dieser strukturellen Vorlage sind deshalb alle Lösungsansätze zu prüfen. Ohne Massnahmenmix wird es nicht gehen. Heute aber – unbefristet – ein einseitiges Präjudiz zu schaffen, wäre falsch.

Welche Möglichkeiten gibt es, um die AHV langfristig zu gewährleisten?

Es gibt nur drei Hebel: Länger arbeiten, mehr Geld in das Rentensystem stecken oder die Renten kürzen. Letzteres will niemand, also bleiben nur die beiden ersten Möglichkeiten. Menschen Mitte 60 sind heute deutlich fitter als vor 30 Jahren, und sie leben im Durchschnitt länger. Ist es unfair, wenn sie einen kleinen Teil dieser geschenkten längeren Lebenszeit in Form von Erwerbszeit zurückgeben, um die Renten zu finanzieren? Nein. Und für diejenigen, die körperlich hart arbeiten, braucht es ergänzend Branchenlösungen wie auf dem Bau, damit diese früher in Pension gehen können als körperlich weniger belastete Kopfarbeiter.

Sie setzen Ihre Hoffnung auf eine grosse Reform, die ab 2030 greifen soll. Streben Sie dabei ein höheres Rentenalter an, das vom Stimmvolk parallel zum Ja zur 13. Rente hochkant verworfen wurde?

Das Stimmvolk hat Nein gesagt zu einer isolierten, sehr weitgehenden Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung. Es ist damit der Argumentation des Bundesrats und der Mehrheit im Parlament gefolgt, wonach die Diskussion um die Anpassung des Rentenalters in der strukturellen Revision ab 2026 zu führen ist, zusammen mit weiteren Lösungsansätzen.

Höheres Rentenalter – damit werden die Bürgerlichen ins Kreuzfeuer der Kritik geraten.
Auch wenn es nicht populär ist: aufgrund der Pensionierung der Babyboomer-Jahrgänge und der stark gestiegenen Lebenserwartung kommen wir über kurz oder lang nicht darum herum, das Rentenalter zu erhöhen, als eine von mehreren Massnahmen. Ansonsten droht insbesondere dem Mittelstand eine unerträgliche finanzielle Mehrbelastung.  Aber – und das sage ich ebenso deutlich: ich sehe auch die Arbeitgeber in der Pflicht. Allen voran die grossen Konzerne, welche die Wahrnehmung von Wirtschaft in breiten Bevölkerungskreisen prägen. Wenn sie sich nicht endlich bewegen und mit dem guten Beispiel vorangehen und ihre Mitarbeitenden wertschätzend bis zum Rentenalter beschäftigen – oder gerne darüber hinaus, was heute schon möglich ist – dann wird aus einem etwas höheren Rentenalter auch im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtvorlage nichts.

Der zusätzliche Finanzbedarf für die AHV beträgt Milliarden jährlich. Kommen für sie auch höhere Einnahmen, also neue Steuern infrage?

Es gefällt mir persönlich nicht und ich will mir heute weder eine Erbschaftssteuer noch eine neue Finanztransaktionssteuer vorstellen. Und trotzdem: die Herausforderung ist derart gross, dass wir im Rahmen der strukturellen Revision ab 2026 alle Optionen werden prüfen müssen.

Ihre Partei will die 13. Rente mit Kürzungen im Haushalt des Bundes. Geht das?

Wir müssen den Finger auf das Kostenwachstum im Bundeshaushalt legen. Der Bund braucht dringend ein Fitnessprogramm. Innert kürzester Frist die erforderlichen 5 Milliarden Franken im Bundesbudget einzusparen, ist jedoch illusorisch.

Es gibt den Vorschlag von Bürgerlichen, nun den AHV-Fonds ausbluten zu lasse. Dann kann man sagen «wir haben kein Geld» mehr, jetzt müssen strukturelle Änderungen her.

Das ist Blödsinn und verantwortungslos. Das Gesetz ist klar: der AHV-Fonds muss eine Reserve haben, um die Renten für ein Jahr zu decken. Dass ausgerechnet der Gesetzgeber selbst das Gesetz nicht einhält, geht gar nicht. Wir kommen nicht um eine kurzfristige Finanzierung der 13. AHV-Rente herum. Danach muss aber eine strukturelle Revision folgen.

Wir die AHV weiter nach dem Giesskannenprinzip ausbezahlt werden können? Alle zahlen ein, alle erhalten – je nach Beitragsjahren – genau gleich viel?

Sie spreche die «goldneen Rentner» an. Die gibt es. Glauben sie mir –  ich habe mich in den letzten Jahren wirklich in die Thematik reingekniet und kenne deshalb die Fakten. Die durchschnittliche AHV-Rente beträgt weniger als 2000 Franken im Monat. Die Hälfte der Männer, die 2022 frisch pensioniert wurden, erhielten dazu eine Rente aus der beruflichen Vorsorge (BVG) von mehr als 2100 Franken. Die andere Hälfte weniger. Es gibt also auch die andern, denen es gerade so zum Leben reicht. Schlechter sieht zudem das Bild der Neurentnerinnen aus – immerhin gut die Hälfte der Bevölkerung. Die Politik orientiert sich zu stark an denjenigen, denen es gut geht.

Welcher Folgen ergeben sich daraus?
In der kommenden strukturellen Revision werden die Finanzierungsfragen im Vordergrund stehen. Das Stimmvolk wird uns aber wieder daran messen, wie wir mit denjenigen Menschen umgehen, die im Alter nicht auf Rosen gebettet sind.

Oha. Sie begeben sich auf SP-Pfade?
Es ist wichtig, sich zu hinterfragen. Das mache ich, ich erwarte es aber auch von andern. Als Kommissionspräsident stört mich die fehlende Kompromissbereitschaft hüben wie drüben immer mehr. Die Bevölkerung erwartet von uns durchdachte Lösungen. Ich bin überzeugt, wir müssen Menschen mit tieferen Einkommen und Renten besser im Auge haben. Bei der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) habe ich mich deshalb stark für den Erhalt des Rentenniveaus für alle Erwerbstätigen mit der Minimalversicherung eingesetzt – teilweise vergeblich.

Die BVG-Reform kommt im September an die Urne. Sind Sie dagegen?
Ich habe mich in der Schlussabstimmung im Parlament enthalten. Die Vorlage wird es schwer haben in der Volksabstimmung. Zwar bringt sie die längst fällige Reduktion der Quersubventionierung. Leider wurde es aber verpasst, das Ziel der Erhaltung des Rentenniveaus für künftige Rentnerinnen und Rentner mit tiefen Renten konsequent umzusetzen, womit die Vorlage von links unter Druck kommt. Gleichzeitig kostet der teilweise eingebrockte Leistungsausbau nicht wenig, insbesondere für KMU und Gewerbe und ihre Mitarbeitenden im Tieflohnsegment. Damit ist die Vorlage auch von dieser Seite unter Druck. Und nun schenken auch noch die zusätzlichen Kosten für die 13. AHV-Rente ein.

Vor allem Frauen mit tiefen Löhnen und mit Teilzeitjobs sollen profitieren…
So sehen es die einen. Andere sagen: was nützt es der Teilzeit arbeitenden Verkäuferin, die das Geld dringend braucht, um das Familienbudget aufzubessern, wenn sie künftig weniger im Portemonnaie hat? Und am Ende der Berufstätigkeit doch nur eine Rente bleibt, die unter der Schwelle für Ergänzungsleistungen liegt? Wie so häufig im Leben ist es eine Frage der Optik. Die nächste intensive Rentendebatte steht uns damit bevor. Ausgang offen.