Lamentieren allein bringt uns nicht weiter
- 13. Januar 2022
- 4 min Lesezeit
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Solidarität
Nach zwei Jahren Pandemie habe ich manchmal den Eindruck, von lauter erfahrenen Krisenmanagern umgeben zu sein. Alle wüssten, wie man es besser machen könnte. Da macht auch das Parlament keine Ausnahme.
Natürlich läuft in der Schweiz nicht alles optimal. Auch ich schüttle zuweilen den Kopf und frage mich, ob es Sinn macht, wenn der Bundesrat eine Homeoffice-Pflicht verordnet, es aber erlaubt bleibt, sich nach dem Homeoffice-Tag am engen Stammtisch im vertrauten Kreis auf ein Bier zu treffen. Eine Restaurantschliessung sei unverhältnismässig, wird gerne argumentiert. Irgendwie verstehe ich das ebenso gut wie das Bedürfnis nach einem Feierabendbier. Denn was ist in einer Pandemie noch verhältnismässig? Wo endet meine persönliche Freiheit zugunsten derjenigen, welche die Suppe letztlich auslöffeln müssen?
Für mich steht jedenfalls fest: Ich werde nicht auch noch in den Chor der Besserwisserinnen und Besserwisser einstimmen. Sowohl für die Gesellschaft wie auch für die Politik gilt – und das noch verstärkt in einer Krise: mit Kritik um der Kritik willen ist es nicht getan. Es geht darum, gemeinsam Lösungen zu finden und nicht nur dem Egoismus zu huldigen.
Auf das Verbindende besinnen statt Unterschiede bewirtschaften
Lösungen können wir nur gemeinsam entwickeln und umsetzen. Gemäss dem aktuellen «Hoffnungsbarometer» der Universität St. Gallen ist aber ausgerechnet in der Krise die soziale Verbundenheit in unserem Land auf ein Allzeittief gesunken. Das erfüllt mich mit Sorge. Eigentlich ist allen bewusst, dass wir uns wieder auf das Verbindende besinnen sollten, statt allfällige Unterschiede zu bewirtschaften.
Auch in den dringlichen Fragen der Sozialpolitik kommen wir nur gemeinsam einen Schritt weiter. In der AHV braucht es eine gewisse Solidarität der Jungen mit den Alten, der Reichen mit den weniger gut Situierten. Da Schweizerinnen und Schweizer immer älter werden und die Babyboomer ins Rentenalter kommen, steigen die Defizite in der AHV bis etwa Mitte der 2030er Jahre von Jahr zu Jahr kontinuierlich an. Wenn wir nichts tun, beläuft sich die Finanzierungslücke bis dann auf acht bis zehn Milliarden Franken – pro Jahr. Da in der AHV die Frauen – im Gegensatz zu der beruflichen Vorsorge – nicht schlechter gestellt sind als die Männer, ist die Angleichung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre wichtig und richtig.
Diese Massnahme allein reicht aber nicht aus. Das Parlament kam nicht darum herum, auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,4% zu beschliessen. Und auch nach dieser kleinen Revision ist die AHV noch lange nicht über den Berg. Nächste Schritte müssen bald folgen. Hier ist Redlichkeit von der Politik einzufordern: Wir dürfen den Menschen nicht ein X für ein U vormachen. Mit der jetzigen Revision legen wir erst eine kurze Strecke auf einem langen Weg zur Sicherung der AHV-Renten auf heutigem Niveau zurück.
Ärgerlich ist deshalb, wenn selbst gewisse bürgerliche Kreise auch bei der AHV keinen überzeugenden Plan vorlegen können, sondern bloss Geld von einer Kasse – in diesem Fall jener der Nationalbank – in die andere Kasse umverteilen wollen. Keine Spur von einem nachhaltigen Plan.
Auf ein Wunder hoffen bringt uns nicht weiter
Handlungsbedarf gibt es auch in der beruflichen Vorsorge. Auf Basis der bundesrätlichen Vorlage setzt sich ein Grundkonzept durch, das für mich Sinn macht: Es beinhaltet eine sofortige Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6,8% auf 6,0%. Die Halbierung des Koordinationsabzugs soll langfristig die Vorsorge von Teilzeitarbeitenden (namentlich Frauen) stärken, die Reduktion der Altersgutschriften von vier auf zwei wird sich positiv auf die Arbeitsmarktfähigkeit von älteren Mitarbeitenden auswirken. Wichtig ist, dass wir auch hier endlich Entscheidungen treffen. Ohne gezielte Massnahmen zur Sicherung der Renten auf heutigem Niveau für diejenigen, die kurz vor der Pensionierung stehen und von der Revision besonders betroffen sein werden, wird es aber auch im BVG nicht gehen. Ohne Solidarität wird die Revision nicht gelingen.
Wegmarken zu setzen gilt es auch für unsere Beziehung mit Europa. Abwarten und auf ein Wunder zu hoffen, bringt uns nicht weiter. Die Schweiz ist geopolitisch, wirtschaftlich und wertemässig eng mit Europa verbunden und auf ein tragfähiges Beziehungsnetz angewiesen. Nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU muss der Bundesrat konkrete Vorstellungen präsentieren, wie die Beziehung zu unserem wichtigsten Handelspartner künftig aussehen soll. Auch dabei wird es darum gehen, Gemeinsamkeiten zu definieren und in den Vordergrund zu rücken.
Politik muss für gute Rahmenbedingungen sorgen
Es ist höchste Zeit, aus unserer etwas lethargischen Haltung heraus zu finden. Die Politik muss die Rahmenbedingungen so entwickeln, dass die Schweiz als Innovationsstandort im Interesse der Erhaltung unseres Wohlstands führend bleibt. Meinen Fokus richte ich dabei in allen Belangen auf nachhaltige Lösungen, die von Solidarität und Fairness geprägt sind. Ich will nicht nur kritisieren, sondern unsere Zukunft aktiv gestalten. Denn der Chor der opportunistischen Besserwisser ist auch ohne meine Stimme schon laut genug.