Damian Müller | Ständerat

Jetzt ist nicht die Zeit für Geschenke

  • 24. Juli 2020
  • 6 min Lesezeit
  • Blogbeitrag
  • Solidarität

Nicht alles, was wünschenswert ist, ist auch nötig. Das gilt in der aktuellen Wirtschaftskrise – die wohl noch kaum richtig begonnen hat – insbesondere auch für das scheinbar populäre Anliegen eines staatlich finanzierten Papi-Urlaubs. In der Diskussion wird nämlich ausgeblendet, dass bereits jetzt hunderttausende Väter von attraktiven Firmen- und Branchen-Lösungen profitieren und in den Genuss grosszügiger Papi-Urlaube kommen. Wir sollten mit Steuern und Abgaben jenen Menschen helfen, die wirklich Unterstützung brauchen – und nicht mit der Giesskanne unnötige Geschenke verteilen. Denn das Geld ist knapp: Nach der Corona-Krise dürfte der Bund im laufenden Jahr ein rekordverdächtiges Minus von 30 Milliarden Franken ausweisen.

Obwohl wir uns mitten im Hochsommer befinden, wähne ich mich zuweilen bereits kurz vor Weihnachten: Da schreiben Politikerinnen und Politiker nicht enden wollende Wunschlisten, als ob die Bescherung kurz bevorstünde. Und wehe, wenn am Ende nicht alle Wünsche erfüllt werden – dann reagieren einige der Kolleginnen und Kollegen völlig verständnislos, wie «stämpfelnde» Kinder.

Klar, wünschen darf man immer. Aber schon Eltern müssen ihren Kindern beibringen, dass nicht alle Wünsche erfüllt werden können. Was von Kindsbeinen an gilt, ist in der Politik nicht anders. Wir müssen uns an der Realität orientieren. Und diese zeigt: Nach der Corona-Krise wird das Loch in der Bundeskasse grösser und grösser. Finanzminister Ueli Maurer rechnet damit, dass die Schweiz ihre Staatsschulden in diesem Jahr allein auf Bundesebene um 30 bis 60 Milliarden Franken erhöhen wird. Für 2020 dürfte der Bund ein rekordverdächtiges Minus von 30 Milliarden Franken ausweisen. Alleine in der AHV droht eine von Jahr zu Jahr wachsende Finanzierungslücke. 2035 soll sie mehr als 10 Milliarden Franken betragen – pro Jahr!

Liste von Firmen und Branchen mit grosszügigem Papi-Urlaub wird länger und länger

Angesichts dieser Aussichten bin ich sehr zurückhaltend mit dem Erfüllen von Wünschen nach dem Giesskannenprinzip. In diese Kategorie fällt auch der Vaterschaftsurlaub, über den wir am 27. September abstimmen. Es überrascht mich nicht, dass dem Gegenvorschlag, der vorsieht, zwei Wochen bezahlten Vaterschaftsurlaub zu gewähren, in Umfragen heute noch eine klare Mehrheit von gegen 70 Prozent Ja-Stimmen prognostiziert wird. Schliesslich, so das Argument, sollen frisch gebackene Väter Zeit mit ihrem Kind verbringen können.

Selbstverständlich sollen sie das. Aber eine staatliche Finanzierungslösung blendet aus, dass längst sehr viele Väter von grosszügigen firmen- oder branchenspezifischen Lösungen profitieren. Ein Bericht des Bundesrats zeigt auf, dass beispielsweise 228’000 Angestellte einem Gesamtarbeitsvertrag, der einen Urlaub von 5 bis 15 Tagen vorsieht, angeschlossen sind. Zusätzliche 161’000 Personen können von einem so genannten «Elternurlaub» profitieren. Dazu kommen zahlreiche Firmen, die teilweise sogar noch weitergehende Regelungen beschlossen haben, darunter McDonalds, SwissRe, Swiss Life, Migros, UBS, Japan Tobacco International oder die Bundesverwaltung. Die Liste der Firmen, die auf freiwilliger Basis längst grosszügige Regelungen eingeführt haben, liesse sich fast beliebig fortsetzen. Kurzum: Es sind hunderttausende Väter, die bereits heute von freiwilligen grosszügigen Lösungen der Firmen und Branchen profitieren können. Selbst viele KMU haben die Zeichen der Zeit erkannt und bieten immer mehr attraktive Lösungen an.

Für mich ist das der richtige Weg. Einer, der den jeweiligen Gepflogenheiten einer Firma oder Branche Rechnung trägt. Alle Väter über den gleichen Kamm zu scheren und für alle die gleiche Regelung durchzusetzen, ist unsinnig. Die Realität zeigt: hier braucht es die staatliche Intervention und das staatliche Lohnabgabediktat schlicht nicht.

Staatliche Lösung bringt hohe Kosten und organisatorische Herausforderungen

Von den Kosten dieses neuen Urlaubs ganz zu schweigen. Der Bund beziffert den zusätzlichen Finanzbedarf auf rund 230 Millionen Franken pro Jahr. Finanziert würde das Ganze durch Lohnprozente über die Erwerbsersatzversicherung. Schon bald müssten gemäss Bundesrat dafür die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge erhöht werden. Als ob unsere Wirtschaft – insbesondere die KMU – nicht schon genügend zu kämpfen hätte, um in dieser bevorstehenden Krise möglichst viele Arbeitsplätze zu retten!

Das Geld ist aber nur das eine. Die jungen Väter werden in den Betrieben logischerweise länger abwesend sein. Ein Arbeitnehmer könnte in einem einzigen Jahr während zehn bis zwölf Wochen fehlen: 5 Wochen für reguläre Ferien, 3 Wochen für Militärdienst und 2 Wochen für einen neuen Vaterschaftsurlaub – die ursprüngliche Initiative sieht ja sogar einen Vaterschaftsurlaub von 4 Wochen vor. Das ist gerade für kleine Betriebe organisatorisch nicht einfach so zu stemmen. Umso wichtiger ist es, in diesem Fall anstelle des Staatsdiktats weiterhin den betrieblichen Austausch zu pflegen.

Überbrückungsrente statt Papi-Urlaub: Damit denen geholfen wird, die es nötig haben

Ich mag es jedem frisch gebackenen Vater von Herzen gönnen, wenn er Papi-Urlaub beziehen kann. Doch das kann er auch ohne die Initiative. Als liberal denkender Politiker bin ich ebenso überzeugt, dass es dafür auch in Zukunft keinen staatlich verordneten Urlaub braucht. Mit knapper werdenden öffentlichen Geldern sollten wir jenen Menschen helfen, die wirklich Unterstützung benötigen, um deren Existenz es geht. Darum geht es beim Vaterschaftsurlaub definitiv nicht. Demgegenüber setze ich mich dafür ein, dass den über 60-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die ihren Job verlieren, ausgesteuert werden und über 20 Jahre in der Schweiz gearbeitet, Steuern und Lohnbeiträge bezahlt haben, Hilfe bekommen.

Geht es nach dem Willen von Bundesrat und Parlament, sollen künftig diejenigen unter ihnen, die nicht über Vermögen verfügen und ihr Leben lang gearbeitet haben, in der Höhe der Ergänzungsleistungen eine Überbrückungsleistung erhalten. Nicht alle, aber diejenigen, die zur Finanzierung ihrer Existenz wirklich darauf angewiesen sind. Das ist in meinen Augen sinnvolle Sozialpolitik. Denn für viele ist es praktisch ein Ding der Unmöglichkeit, mit über 60 Jahren noch einmal eine neue Stelle zu finden. Diese klare Fokussierung führt dazu, dass diese neue Sozialleistung – im Unterschied zum Vaterschaftsurlaub – eine echte Lücke im System der Existenzsicherung schliesst. Und durch die Fokussierung erst noch deutlich weniger kostet als etwa der vorgeschlagene Papi-Urlaub. Zudem müssen sich auch Menschen, die berechtigt sind, eine solche Übergangsrente zu erhalten, weiterhin aktiv um einen Job bemühen. Die Hürden sind also hoch angesetzt. Ich will solche Menschen aber nicht im Regen stehen lassen. Deshalb unterstütze ich die Überbrückungsleistung als sinnvolle Massnahme zur Existenzsicherung einer klar definierten, nicht privilegierten Gruppe von Menschen.

Kein Ausbau, solange die bestehenden Sozialleistungen finanziell nicht gesichert sind

Für mich ist klar: Jetzt ist nicht die Zeit für Geschenke. Es wird nur schon ein Kraftakt sein, angesichts der drohenden grossen Finanzierungslücken den Status Quo bei den Sozialleistungen – allen voran den Altersrenten –  aufrechtzuhalten. Generelle Ausbauvorhaben mit der Giesskanne sind deshalb fehl am Platz. Mehr als Lückenschliessung im sozialen Auffangnetz wo berechtigt und sinnvoll – wie bei der Überbrückungsleistung – liegt nicht drin. Wir haben es leider verpasst, Sozialversicherungen wie die AHV oder die Invalidenversicherung in den vergangenen wirtschaftlich guten Jahren nachhaltig auf gesunde Beine zu stellen. Das werden wir nun nachholen müssen. Es gilt, Milliardenlöcher zu stopfen. Solange die bestehenden Sozialversicherungsleistungen finanziell nicht gesichert sind, haben generelle, nicht zwingende Ausbauvorhaben mit Folgen bei Steuern und Abgaben keinen Platz.

Natürlich wird es am Tag des Neins zu einem staatlich verordneten Vaterschaftsurlaub lange Gesichter geben bei denjenigen, die dafür gekämpft haben. Auch das kann ich nachvollziehen. Trotzdem sollten wir auch als Erwachsene beherzigen, was wir schon als Kinder lernen mussten: nicht alles, was wir uns wünschen, ist auch realistisch und realisierbar.

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