Damian Müller | Ständerat

Jetzt in die Hände spucken!

  • 25. April 2020
  • 7 min Lesezeit
  • Halbierung der Mehrwertsteuer
  • Zuversicht

Das Corona-Virus hat die Schweiz in Griff genommen. Auch wenn der Bundesrat nach nun achtwöchigem Notstand die getroffenen Massnahmen nach und nach lockert, ist die Krise noch lange nicht ausgestanden, weder gesundheitlich noch wirtschaftlich noch sozial. Vor allem kommt Erholung nicht von alleine, es braucht im Gegenteil Massnahmen, um das Leben wieder in Gang zu bringen. Eine Massnahme, wenn auch eine unkonventionelle, wäre, die Mehrwertssteuer für 12 Monate mindestens zu halbieren, um so den Konsum unterstützend anzuregen und insbesondere auch der eher binnenorientierten KMU-Wirtschaft die Chance zu geben, wieder Tritt zu fassen und die Arbeitsplätze zu erhalten.

Nach heutigen Erkenntnissen nahm die COVID-19-Pandemie im Dezember 2019 in China ihren Anfang, von wo sie sich in alle Länder der Welt verbreitete, auch in die Schweiz. Am 31. Januar erklärte die Weltgesundheits-Organisation (WHO) den Covid19-Ausbruch zur gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite, am 11. März 2020 stufte sie das Geschehen als weltweite Pandemie ein.

Bereits zwei Wochen zuvor – am 28. Februar 2020 – deklarierte der Schweizer Bundesrat die Situation in der Schweiz zur «besonderen Lage» gemäss Epidemiengesetz und verabschiedete die Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19), die u. a. Grossveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen verbietet. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) startete am 1. März 2020 die Kampagne «So schützen wir uns» mit Hygiene-Empfehlungen zum Schutz vor dem neuen Coronavirus. Am 16. März 2020 erklärte der Bundesrat die «ausserordentliche Lage» gemäss Epidemiengesetz ab Mitternacht bis vorderhand 19. April 2020. Am 8. April 2020 verlängerte er die «ausserordentliche Lage» bis am 26. April 2020.

Gleichentags führte die Schweiz zu ihren Nachbarstaaten, ausser dem Fürstentum Liechtenstein, Grenzkontrollen und Einreisebeschränkungen ein und mobilisierte bis zu 8000 Angehörige der Schweizer Armee zum Assistenzdienst. Die vom Bund angeordnete Schliessung aller Läden (ausser Lebensmittel), Märkte, Restaurants, Bars sowie Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe, Schulen, Universitäten und Gotteshäuser sowie die empfohlenen Schutzmassnahme, möglichst «zu Hause zu bleiben», werden in den Medien als Lockdown bezeichnet.

Es ist das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass der Bundesrat längere Zeit mit Notrecht regiert. Das Gesetz verleiht dem Bundesrat dieselben Kompetenzen wie Artikel 185 der Bundesverfassung. Dieser erlaubt der Landesregierung, unmittelbar alles zu beschliessen, was sie für notwendig erachtet, um «schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen». Der Bundesrat kann somit handeln, ohne ParlamentKantone und Volk einzubeziehen.

Am Mittwoch, 15. April 2020 publizierte das Staatssekretariat für Wirtschaft die provisorischen Daten zur Konsumentenstimmung. Das Coronavirus hat die Konsumentenstimmung in der Schweiz auf historische Tiefstwerte sinken lassen. Die Erwartungen bezüglich der eigenen finanziellen Lage sind so negativ wie seit den 1990er-Jahren nicht mehr. Gleichzeitig gehen Experten von einer schweren Rezession aus, da die aktuelle Situation die Schweizer Wirtschaft existentiell trifft und die Arbeitslosenquote in die Höhe treibt. Bundesrat Parmelin schliesst eine Arbeitslosenquote von 7 bis 10 Prozent nicht aus, was zwischen 300`000 bis 400`000 Arbeitslosen entspricht. Dass damit der vermehrte Ruf nach Impulsprogrammen nicht ausbleibt, liegt auf der Hand. Dabei wissen wir ganz genau, dass im Zeitpunkt der Rezession aufgesetzte Impulsprogramme immer zu spät kommen.

Die Schweiz braucht eine unkonventionelle Massnahme – mindestens die Halbierung der MWST für 12 Monate

Auch wenn die Landesregierung den sogenannten Lockdown ab dem 27. April dieses Jahres etappenweise aufheben und die Wirtschaft so wieder in Fahrt bringen will, wird dies aufgrund der absehbaren historischen Dimension der Krise mittel- und längerfristig nicht von selbst funktionieren. Die Bevölkerung braucht Vertrauen in die Wirtschaft und die Wirtschaft das Vertrauen der Konsumenten. Nur so finden wir auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurück, welcher auch die entsprechenden Arbeitsplätze garantiert, zumal wir laut den neusten Prognosen des Staatssekretariat für Wirtschaft SECO in diesem Jahr mit einem Rückgang des BIP um 6.7 und einer Zunahme der Arbeitslosigkeit auf 3,9 Prozent rechnen müssen. Sicherungsmassnahmen, wie das Kurzarbeitszeitgeld, sichern zwar Einkommen und zumindest kurzfristig auch Stellen, garantieren aber keine nachhaltige Nachfrage. Nur wenn die Schweizer Bevölkerung wieder konsumiert, zeigen die Sicherungsmassnahmen auch Wirkung, sowohl was den Konsum anbelangt als auch bezüglich der Erhaltung der Arbeitsstellen. Gestützt auf die vom Staatssekretariat für Wirtschaft publizierten Daten komme ich zum folgenden Fazit: Wenn wir keine Massnahmen treffen, die die Konsumenten in ihrer Kaufkraft aktivieren, dann verpufft das gut gemeinte Kurzarbeitsgeld trotz seiner noch nie dagewesenen Milliardendimension. Das sinnvolle aktuelle Massnahmenpaket bliebe ohne die erhoffte Wirkung. Deshalb braucht es jetzt ein klares Konzept mit einer unkonventionellen Massnahme, welche die Kaufkraft spürbar steigert und damit namentlich auch die stärker binnenorientierte KMU-Wirtschaft stärkt.

Aus diesem Grund fordere ich vom Bundesrat mindestens, die coronabedingte Halbierung der MWST für 12 Monate. Diese Massnahme:

  • Entlastet solidarisch alle Generationen und hilft auf allen Stufen, insbesondere aber tieferen und mittleren Einkommen
  • Steigert das BIP und stützt damit die Strukturen unserer Wirtschaft
  • Senkt die Hemmschwelle zum Konsumieren
  • Verschafft Spielraum für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
  • Bringt Unternehmen schneller in den Markt zurück
  • Minimiert die Arbeitslosigkeit
  • Schafft Vertrauen

 

Die Mehrwertsteuereinnahmen 2018 beliefen sich auf 22.9 Milliarden Franken. Die Halbierung, befristet auf 12 kostet den Bund rund 11 Milliarden Franken. Diese temporäre MWST-Senkung bietet als Massnahme, im Gegensatz zu den zahlreichen von Partikularinteressen getriebenen Subventionswünschen, eine klare definierte wettbewerbsneutrale Massnahme zuugunsten der ganzen Bevölkerung und Wirtschaft. Eine temporäre Senkung der MWST bringt weitere Vorteile für jeden Konsumenten, da die Massnahme in der Schweiz wirkt und entsprechend den Menschen in der Schweiz und der Wirtschaft vor Ort zu Gute kommt, im Detailhandel, im Gastrobereich, bei den personenbezogenen Dienstleistungen usw. Kurz: Sie bringt Leute zum Konsumieren, statt Geld auf der Bank zu horten. Anstelle x-beliebiger partikulärer Massnahmen mit in der Summe letztlich viel höheren Kosten, ist die zu leistende Investition verhältnismässig und zielgerichtet. Allerdings: Klare Bedingung ist, dass die Unternehmer die MWST-Reduktion den Konsumenten vollumfänglich weitergeben, was allerdings angesichts der Dimension der Krise auch in ihrem ureigenen Interesse liegt.

Bereite Geschäfte abschliessen

Gleichzeitig dürfen wir uns als Parlament aber nicht darauf beschränken, nur die unmittelbaren und direkten Folgen der Coronakrise mit Massnahmen abzufedern. Es wäre falsch, jene Fragen aus den Augen zu verlieren, die vom Virus in den Hintergrund gedrängt wurden. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir alle die Konjunktur stützenden Geschäfte verabschieden, welche bereits entscheidbereit sind. So zum Beispiel das Geschäft 17.071, Totalrevision Co2-Gesetz. Es liegen noch einige Differenzen vor. National- und Ständerat stehen in der Verantwortung, dass die umwelt- und klimapolitischen Ziele erreicht werden. Bekanntlich hat die Schweiz im Oktober 2017 das Klimaübereinkommen von Paris ratifiziert. Damit hat sie sich verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen gegenüber dem Stand von 1990 zu halbieren. Die Ratifizierung wurde vom Parlament am 16. Juni 2017 vorgenommen, wir haben also dieses Reduktionsziel von 50 Prozent bereits so beschlossen. Jetzt geht es darum, dass wir dies in der nationalen Gesetzgebung tatsächlich umsetzen. Dass wir die nächste Etappe der Klimapolitik bis 2030 besiegeln und auch die Massnahmen beschliessen, die nötig sind, damit wir dieses Ziel auch tatsächlich erreichen, zumal laut namhaften Stimmen aus der Wissenschaft ein Zusammenhang zwischen Klimawandel, Naturkatastrophen und gesundheitlichen Folgen besteht. Mit dieser Vorlage schaffen wir ein innovatives Gesetz zur nachhaltigen Entwicklung und stehen gleichzeitig für eine verlässliche Politik auf allen Stufen. Das Gesetz wirkt innovationsfördernd und damit ebenfalls positiv auf die konjunkturelle Entwicklung.

Weiteres Vorgehen

Die Frage zur Zweckmässigkeit und den Auswirkungen der Massnahme bedürfen jedoch einer vertieften und soliden Analyse. Die Sachverhalte sind komplex und die öffentliche Datenlage ist knapp. Aus diesem Grund ist es trotz der gebotenen Eile notwendig, auf das interne Wissen und die Zahlen der Verwaltung zu bauen.

Massnahme
1. Einreichung eines Postulats und Interpellation zwecks Beauftragung zur beförderlichen Abklärung aller offenen Fragen:

 

  • Ökonomische Analyse
    • Welche statischen und dynamischen Effekte ergeben sich aus einer MWST-Senkung?
    • Welches sind die Vor- und Nachteile?
    • Was ist der Effekt für die steuerliche Standortattraktivität für Firmen, wenn die Reduktion der „taxocculte“ berücksichtigt?

 

  • Rechtliche Analyse
    • Wie soll die MWST-Senkung verankert werden?
    • Wie lässt sich eine solche temporäre Senkung innerhalb der Schuldenbremse umsetzen (Gesetzeskonformität mit der Schuldenbremse)?

 

  • Vergleich der Massnahmen
    • Vergleich MWST-Senkung mit den zur Diskussion stehenden Ausgabensteigerungen (Sozialversicherungen, Bürgschaften, EO, etc.) für die Wirkung auf Konjunktur, Beschäftigung und Ifr. Wirtschaftswachstum.
    • Was wirkt zielgerichteter und wettbewerbsneutraler?
    • Welche gesamtwirtschaftlichen Gefahren (zum Beispiel Inflation) gehen von den Ausgabensteigerungen im Vergleich zu einer temporären MWST-Senkung aus?

 

Das Postulat sowie die Interpellation ermöglichen, dass wir zu diesen Fragen seriöse Antworten erhalten und aufbauend darauf aktiv werden können. So kann sich der Bundesrat intensive Gedanken machen.

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