Damian Müller | Ständerat

Interview mit Damian Müller in der Luzerner Zeitung vom 3. Januar 2022

  • 03. Januar 2022
  • 7 min Lesezeit
  • Luzerner Zeitung
  • Zuversicht

Luzerner Zeitung / 3. Januar 2022

Damian Müller, in Bundesbern ist Legislatur-Halbzeit. Welches Fazit ziehen sie nach zwei Jahren?

Es waren zwei intensive Jahre, die von Corona dominiert wurden. Die Legislatur ist insofern anders als die vorherige, weil das Parlament jünger und weiblicher geworden ist. Fast die Hälfte der Ständerätinnen und Ständeräte wurden neu gewählt. Für sie war es wegen Corona jedoch nicht einfach, Tritt zu fassen. Die zweite Session, im März 2020, wurde ja sogar abgebrochen, einige Kommissionssitzungen fanden nicht statt. Politik lebt davon, dass man über Parteigrenzen hinweg miteinander arbeitet. Diese Arbeit hat sicher etwas gelitten. Gerne würde ich noch etwas zu Corona sagen.

Ja bitte.

Was mich stark beschäftigt, ist die drohende Spaltung der Gesellschaft, dieser will ich entgegenwirken. Statt Spaltung brauchen wir Gemeinsinn. Gleichzeitig ärgere ich mich über eine gewisse Trägheit unseres Landes. Wir neigen dazu, immer einen Tick zu spät zu handeln. Wir müssen aus der Lethargie herauskommen. Vermutlich würde ein entschiedeneres Handeln und damit mehr Klarheit auch einen Beitrag leisten, damit unsere Gesellschaft nicht weiter auseinander driftet.

Welche Note geben Sie dem Bundesrat bei der Bewältigung der Pandemie?

(überlegt) Eine 4,5. Ich wünschte mir mehr vorausschauendes Handeln und eine widerspruchsfreiere Kommunikation. Es stellen sich schon Fragen. Zum Beispiel verordnet der Bund eine Homeofficepflicht, aber ins Restaurant darf man nach wie vor gehen und beliebig Leute treffen. Als Präsident des Pferdesportverbandes wiederum stelle ich fest, dass in einer offenen Halle für Reiterinnen und Reiter 2G gilt und sie Maske tragen müssen. Ich verstehe die Rückmeldungen, dass ein solcher Kurs viele Menschen verunsichert.

Bereitet Ihnen die tiefe Impfquote in der Schweiz Sorgen?

Wir sind alle Corona-müde, aber wir müssen die geltenden Massnahmen strikt befolgen, Distanz- und Hygieneregeln sowie Masken sind nach wie vor wichtig. Die Impfung ist der zentrale Weg aus der Krise. Es gibt Menschen, die davor Angst haben, das respektiere ich. Es macht Sinn, auf sie zuzugehen und sie gut zu informieren. Wenn aber gewisse Kreise Ängste schüren und Falschinformationen verbreiten, geht das gar nicht. Die Omikronvariante steht vor der Türe, es darf deshalb keine Pause geben beim Boostern. Und auch jede weitere Erstimpfung zählt.

Es war politisch ein schwieriges Jahr für Sie: Das Schweizer Stimmvolk lehnte im Juni das Co2-Gesetz ab. Für Sie als Befürworter und Kampagnenleiter war das eine schmerzliche Niederlage.

Das Volk hat entschieden, das akzeptiere ich. Wir befinden uns im Bereich Klima und Energie in einer fundamentalen Transformation. Der technologische Fortschritt eröffnet uns viele Möglichkeiten bei der Dekarbonisierung oder bei der Stromversorgung. Wir müssen den Zubau der erneuerbaren Energien so schnell wie möglich vorantreiben. Gaskombikraftwerke dürfen nur ein Notinstrument sein, die man bei Stromknappheit an- und abschalten kann. Die Wasserkraft muss gezielt ausgebaut werden. Wer bei den AKW von Neubau redet, verkennt die Meinung von Experten und Betreibern, die davon abraten. Sie kämen zu spät und wären zu teuer. Aber auch hier gilt Technologieneutralität. Sollte es gelingen, die bekannten Risiken und das bisher ungelöste Problem der Endlagerung zu lösen und zudem die hohen Kosten für Atomstrom erheblich zu verringern, dann könnten neue AKW eine Chance haben. 

Wie soll es Ihrer Meinung nach mit dem CO2-Gesetz weitergehen?

Ich finde das neue CO2-Gesetz, das Bundesrätin Simonetta Sommaruga in die Vernehmlassung gegeben hat, mutlos. Sie setzt auf bestehende Instrumente. Ich sehe nicht, wie wir so die Klimaziele erreichen wollen. Der Verzicht auf die unsinnigen CO2-Sanktionen bei CO2-neutralen Treibstoffen fehlt komplett.  Es muss zudem beim bestehenden Immobilienpark das Ziel sein, bei Sanierungen gezielt auf die Erneuerbaren zu setzen. Es braucht dazu aber Lösungen, die sich die Immobilienbesitzer leisten können.

Welche?

Es braucht Finanzierungslösungen aus dem privaten Sektor, zum Beispiel mit einem Fonds, der Sanierungen im Bereich von Heizung und Dämmung bezahlt und mit einem Teil der eingesparten Kosten finanziert wird. Auch wenn das liberale Herz blutet, es braucht am Anfang auch Anschubfinanzierungen. Danach muss sich der Staat aber wieder zurückziehen. Nur was markttauglich ist, wird sich am Markt beweisen.

Ist der Kanton Luzern beim Klimaschutz auf einem guten Weg?

Ja, hier gibt es innovative Projekte bei der Seewasserenergie, auch bei den Solaranlagen gehört der Kanton zu den Spitzenreitern. Viele Firmen investieren in Nachhaltigkeit, sprich in de Erneuerung ihrer Infrastrukturen. Und die Hochschule Luzern ist mit dem Departement Technik und Architektur führend in den Bereichen Energie und Nachhaltigkeit sowie Gebäude im System.

Reden wir über Europa: Im Sommer hat der Bundesrat die Verhandlungen zu einem institutionellen Rahmenabkommen mit der EU abgebrochen. Fanden Sie diesen Entscheid richtig?

Es war klar, dass wir den vorliegenden Vertrag so nicht unterschreiben können, da der Entwurf den Vorgaben des Mandates nicht gerecht wurde. Ich hätte mir aber gewünscht, dass man nochmals mit der EU an den Tisch sitzt. Doch das ist Tempi passati. Die EU bleibt unser wichtigster Handelspartner, der Bundesrat muss in die Offensive gehen und eine neue Strategie entwickeln. Der Streitbeilegungsmechanismus oder die Frage nach dem richtigen Lohnschutz sind ja nicht vom Tisch. Es braucht nun in jedem Departement vorerst eine Auslegeordnung, denn tragbare Lösungen können nur gemeinsam erarbeitet werden und erfordern die Mitwirkung sämtlicher Departemente.

Das heisst, Sie bevorzugen sektorielle Lösungen, man soll die Probleme also einzeln lösen. Die EU will aber ein Abkommen, dass alle Punkte regelt.

Die EU hat gesagt, die Schweiz solle Vorschläge bringen. Diese erarbeitet der Bundesrat jetzt. Dass man die rund 15 strittigen Themen, die seit Beginn der Bilateralen nicht gelöst werden konnten, nun sektoriell lösen will, ist eine Option. Gerade mit Blick auf die Streitbeilegung bleibt die Frage dennoch offen, wie dieser Mechanismus im Detail aussehen könnte. Da es nur eine in allen Streitigkeiten identische Streitbeilegung geben wird, gehe ich bei dieser offenen Flanke von einer horizontalen Streitbeilegung aus. Ich war im Herbst als Mitglied der Efta-Delegation in Brüssel zu Besuch bei Vize-Kommissionspräsident Maros Sefcovic, der neu für die Schweiz zuständig ist. Er hat klar gesagt, die Zeit der Rosinenpickerei sei vorbei. Wer das Gefühl hat, die Schweiz und ihre Anliegen seien in Brüssel breit bekannt, der irrt sich gewaltig.

Anfang Oktober wurde Thierry Burkart zum neuen FDP-Präsidenten gewählt. Warum kandidierten Sie nicht?

Für mich war von Anfang an klar, dass ich mich neben der Politik auch beruflich weiterentwickeln will. Dies wäre nicht mit dem Präsidium vereinbar. Ich muss mir bereits heute Gedanken machen über die Zeit nach meiner politischen Karriere. Zudem will ich mich weiterhin voll für den Kanton Luzern engagieren.

Thierry Burkart nimmt bezüglich der EU- und der Klimapolitik eine deutlich zurückhaltendere Position ein als seine Vorgängerin Petra Gössi. Ist es für Sie jetzt schwieriger, ihre politischen Ziele zu erreichen?

Nein, ich werde auch künftig eng mit der Parteispitze zusammenarbeiten und Lösungen zu entwickeln helfen in Dossiers, in denen ich parteiintern im Lead bin. Ich denke, es war ein guter Zeitpunkt für den Präsidiumswechsel in der Mitte der Legislatur.

In der Wintersession hat das Parlament eine AHV-Reform verabschiedet. Das Rentenalter für Frauen soll auf 65 Jahre erhöht werden. Die Linke ist dagegen, der Abstimmungsausgang deshalb ungewiss. Wie zuversichtlich sind Sie?

Ohne die Reform steigt das Defizit der AHV nun von Jahr zu Jahr an, erreicht 2030 rund vier bis fünf Milliarden Franken – pro Jahr – und verdoppelt sich anschliessend innert weniger Jahre nochmals auf gegen zehn Milliarden Franken. Deshalb müssen wir handeln. In der AHV sind die Frauen im Unterschied zum BVG – nicht schlechter gestellt, die Angleichung des Rentenalters ist deshalb richtig. Ich bin aber klar der Meinung, dass es für diejenigen Frauen, die kurz vor der Pensionierung stehen, grosszügige Ausgleichsleistungen geben muss. Ihnen greifen wir in die persönliche Planung ein. Die AHV ist wegen dieser Reform allerdings nicht über den Berg, es braucht bald danach weitere Reformschritte zur Sicherung der Renten.

In zwei Jahren finden die nächsten Nationalen Wahlen statt. Treten Sie wieder an?

Davon gehe ich aus. Das Amt macht mir nach wie vor extrem Freude. Für einen definitiven Entscheid ist es aber noch zu früh.