Damian Müller | Ständerat

Es ist jetzt nicht die Zeit für Geschenke

  • 10. Juni 2020
  • 4 min Lesezeit
  • Solidarität

Auch in der aktuellen Session scheinen viele meiner Politiker-Kolleginnen und -Kollegen in Spendierlaune zu sein. Zuletzt war dies Anfang dieser Woche der Fall, als Mieterinnen und Mieter grosszügig bedacht wurden.

Weil sich National- und Ständerat im Mai nicht auf eine gemeinsame Regelung bei den Geschäftsmieten einigen konnten, wurde das Geschäft erneut beraten. Noch im Mai war eine Mehrheit im Ständerat – zu der auch ich gehörte – überzeugt, dass zwischen Mieter und Vermieter in den meisten Fällen bilateral und auf unbürokratische Weise einvernehmliche Lösungen ausgehandelt werden könnten. Das hat in der Realität auch gut funktioniert, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als die Politik ins Geschehen eingegriffen hat und in beiden Räte Motionen über die Senkung von Geschäftsmieten eingereicht wurden. Ab diesem Moment hat sich Verunsicherung breitgemacht, und alle haben zugewartet. Mit dieser Verunsicherung haben wir der Sache einen Bärendienst erwiesen!

Der Nationalrat hat schliesslich in der aktuellen Session relativ knapp eine neue Motion angenommen, die verlangt, dass alle betroffenen Geschäftsmieter ihrem Vermieter für die Dauer der behördlichen Schliessung – oder bei einem teilweisen Lockdown zwei Monate lang – nur 40 Prozent der Miete schulden. Dabei soll eine Mietobergrenze von 20’000 Franken pro Monat gelten. Der Ständerat ist diesem Vorschlag mit 20 zu 19 bei 4 Enthaltungen gefolgt, was ich sehr bedauere.

Eingriff in die Vertragsfreiheit

Natürlich ist auch für mich klar, dass Betreiberinnen und Betreiber von kleinen Geschäften Unterstützung brauchen. Aber mich stört, dass die beiden Räte ohne Not und unbesehen der jeweiligen konkreten Situation in die Vertragsfreiheit zwischen Mieter und Vermieter eingegriffen haben. Wir haben damit die berühmte Büchse der Pandora geöffnet! Und wozu? Mit der getroffenen Regelung beschenken wir nicht die Kleinen, sondern florierende Handelsketten oder finanzstarke internationale Grosskonzerne, die Jahresmieten von 150‘000 Franken und mehr bezahlen. Ich wage zu behaupten, dass diese am Ende des Geschäftsjahres in ihren Zahlen wahrscheinlich nicht einmal einen Rückgang verzeichnen, weil sie die temporäre Delle längst wieder aufgeholt haben. Wer sich solch hohen Mieten leisten kann, verdient in der Regel gutes Geld und ist in der Lage, auch ein unternehmerisches Risiko zu tragen. Die Politik meinte es sicherlich gut und wollte die kleinen Detailhändler, den Schuhmacher, den Blumenladen und ähnliche traditionelle Geschäfte entlasten. Nun haben wir aber mitten in der Krise die Geschenke an die Falschen verteilt.

Was noch dazukommt: Wir haben mit diesem Geschenk das Geld von Dritten, von Vermietern, verteilt. Dabei handelt es sich in erheblichem Umfang um nicht gewinnorientierte Pensionskassen, die einen schönen Teil ihres Geldes in Immobilien anlegen, ja anlegen müssen, um mit den Erträgen unsere Renten bezahlen zu können. Es ist für mich nicht anständig, diese zu bevormunden und ihnen einfach so Erträge zu kappen. Ich will nicht zu jenen Politikern gehören, die Rentnerinnen und Rentnern Geld aus der Tasche ziehen, um es dann in die Taschen von grossen, international tätigen Konzernen zu stecken. Es ärgert mich deshalb ungemein, dass die Mieterverbände diese Diskussion zu einem ideologischen Kampf hochstilisiert haben.

Wenn wir die Motion abgelehnt hätten, wofür ich plädiert habe, hätte die ständerätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben WAK den gleichlautenden Vorschlag aus dem Nationalrat zumindest nachbessern respektive abändern können. Denn wir alle haben in den letzten Wochen viel gelernt.

Learnings aus der Coronakrise

Zum Beispiel darüber, dass es im Zusammenhang mit der Vergabe von Corona-Krediten zu Missbräuchen gekommen ist. Jetzt hätten wir doch alles daransetzen müssen, dass wir bei den Geschäftsmieten nicht wieder die gleichen Fehler machen und zu gutgläubig sind. Genauso verhält es sich mit dem geplanten Härtefonds von 20 Millionen Franken für Vermieter. Damit ist es nicht getan: Bis heute hat mir noch niemand erklären können, was ein Härtefall wäre, wie ein halbwegs vernünftiges Gesuchsverfahren für eine Auszahlung aussehen könnte oder wer diesen Fonds verwalten soll, ohne dass daraus ein Bürokratiemonster entsteht.

Wenn die Politik schon grosszügig Geld verteilt, das ihr gar nicht gehört, dann hätte sie meines Erachtens zumindest strenge Auflagen machen müssen: Sei es mit einem Dividendenverbot für das laufende Geschäftsjahr für jene, die von solchen Mieterlassen profitieren wollen. Das hätte viele Grosskonzerne davon abgehalten. Oder es hätte die Möglichkeit geschaffen werden können, dass die Mieter zuerst ihr Mietzinsdepot aufbrauchen können und sie 5 Jahre lang Zeit haben, dieses Depot wieder aufzufüllen. Doch weder National- noch Ständerat wollten von scharfen Kontrollen etwas wissen. Dabei hätten diese Hebel dazu geführt, dass das Missbrauchspotenzial massiv beschränkt worden wäre und kein Volksvermögen an Stellen verschwendet worden wäre, wo es gar keinen Schaden gab.

Unser Land ist mit vernünftigen Kompromissen, dem gegenseitigen Dialog, Anstand und dem Respekt voreinander erfolgreich geworden. Dass genau diese Tugenden jetzt plötzlich nicht mehr zählen sollen – in der grössten wirtschaftlichen Krise seit Jahrzehnten – kann ich nicht nachvollziehen. Stattdessen wurde einmal mehr mit der Giesskanne munter Geld verteilt. Ob das Geld auch gebraucht wird, kontrolliert niemand. Schade, dass wir mit dem Durchwinken der Motion die Chance vertan haben, den nationalrätlichen Vorschlag gezielt abzuändern – zum Besseren!

Damian Müller | Ständerat

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