Damian Müller | Ständerat

Europa: "Wir sind zurück auf Feld eins"

  • 24. November 2021
  • 7 min Lesezeit
  • Interview im Seetaler Bote
  • Vernetzte Welt

Im Interview mit den Luzerner Landzeitungen zieht Ständerat Damian Müller eine persönliche Bilanz der ersten Halbzeit der Legislatur.

Interview Ernesto Piazza

Damian Müller, die Hälfte der Legislatur ist vorbei. Wie lautet ihre Halbzeitbilanz?

Ich habe mich stark auf meine Kernthemen Nachhaltigkeit, Gesundheit, Sicherheit und Aussenpolitik fokussiert. Nachhaltigkeit umfasst sowohl die soziale Sicherheit als auch den schonenden Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen. Bei der Aussenpolitik legte ich den Fokus auf stabile Beziehungen mit unseren wichtigsten Partnern. In den letzten zwei Jahren habe ich mich gezielt auf meine Arbeit in den vier dafür zuständigen parlamentarischen Kommissionen konzentriert.

Wie schaffen Sie es, in vier Kommissionen diese Palette von Themen zu behandeln?

Ich bin vom Luzerner Stimmbürger als Ständerat gewählt. Und mein Anspruch ist es, diesen Kanton möglichst gut zu vertreten. Dass es sich bei meiner Arbeit nicht nur um die zentralen Themen unserer Zukunft handelt, sondern auch um kontroverse Themen, nehme ich in Kauf. Allerdings braucht es Ausdauer, weil die grossen Durchbrüche noch ausstehen.

Wo beispielsweise?

Zum Beispiel bei der Altersvorsorge. In der Klimapolitik und in Sachen Beziehungen zur EU sind wir sogar zurück auf Feld eins. Aber auch das gehört zum Politgeschäft.

Und dann war noch Corona zu bewältigen….

Da ist es uns bisher immerhin gelungen, die Jahrhundertkrise Covid aller Unkenrufen zum Trotz, gut zu meistern. Auch wenn mir nicht alle Massnahmen passen. Sorgen bereitet mir allerdings die Tendenz, dass sich die politischen Kräfte links und rechts ausgerechnet in wichtigen Entscheidungen regelmässig gegenseitig blockieren.

Sie bearbeiten eine grosse Themenvielfalt. Wo liegt Ihr Hauptfokus?

Aktuell auf der AHV-Reform. Die Lebenserwartung der Frauen ist vier Jahre höher als diejenige der Männer, die Renten der Frauen sind im Durschnitt sogar leicht höher als diejenigen der Männer. Demografie bedingt läuft die AHV auf immer grössere Finanzierungslücken zu. Die Angleichung des Referenzalters von Frau und Mann ist deshalb fällig. Allerdings greifen wir damit Frauen, die kurz vor der Pensionierung stehen, in ihre persönliche Planung ein. Deshalb braucht es für sie faire Übergangsmassnahmen.

Sie kämpfen für die FDP bei der AHV-Reform an vorderster Front. Nun hat der Ständerat einer Version zugestimmt, die Sie sehr kritisieren. Warum?

Das Rentenalter soll angepasst werden, nötig ist aber auch ein fairer Umgang mit Frauen kurz vor der Pensionierung. Eine 62-jährige alleinstehende Verkäuferin, die ihr Leben lang hart gearbeitet hat und finanziell nicht auf Rosen gebettet ist, soll noch mit 64 Jahren praktisch ohne Renteneinbusse wie geplant in Pension gehen können. Oder aber sie entscheidet sich, bis zum neuen höheren Rentenalter zu arbeiten. Dann soll sie als Anreiz eine lebenslängliche Rentenverbesserung erhalten. Nun hat ausgerechnet die Mitte diesen sinnvollen zweiteiligen Ansatz plötzlich über Bord geworfen. Dies zugunsten höherer Zuschläge, von denen aber auch verheiratete Frauen mit Maximalrenten profitierten, die gar nie erwerbstätig waren. Das geht nicht! Erfreulicherweise haben aber auch Exponenten selbst aus der Mitte – wie etwa Kollege Erich Ettlin – bereits in der Debatte bemerkt, dass das nicht das Gelbe vom Ei ist. Nun liegt es wieder am Nationalrat, dem Ständerat den Weg zurück zur Tugend zu weisen.

Bei dem an der Urne gescheiterten CO2-Gesetz kämpften sie ebenfalls an vorderster Front für ein «Ja». Was ist dort schiefgelaufen?

Inhaltlich war das Gesetz ein sorgfältig austarierter Kompromiss. Das Schicksal solcher Vorlagen ist es, dass sich niemand mit all seinen Ideen durchsetzt – was in einer Volksabstimmung das Risiko erhöht. Alle finden einen Punkt, der ihnen nicht passt. Lehnt man deswegen den gesamten Kompromiss ab, fällt die Vorlage durch. Persönlich war ich von der Flugticketabgabe oder der Erhöhung des Benzinpreises. falls wir die CO2-Ziele bis 2030 nicht erreichen, auch nicht begeistert. Im Moment steigen die Benzinpreise allerdings aus anderen Gründen gerade viel stärker, als dies aufgrund des Gesetzes der Fall gewesen wäre.

Wie soll es beim Thema «Klima» jetzt weitergehen?

Das Gesetz ist vom Tisch, das Problem der Klimaerwärmung nicht. In aller Eile muss nun das alte, per Ende Jahr auslaufende, Gesetz verlängert werden. Da gibt es Konsensbedarf.

Wie geht es dann weiter?

Per 2025 soll eine Neuauflage kommen, die das Rad der Welt aber auch nicht neu erfindet. Daneben wird um die Gletscherinitiative und mögliche Gegenvorschläge gestritten. Und in diversen Kantonen und Städten ist bereits Hektik für eigene schärfere Massnamen ausgebrochen. Ein Flickenteppich an Regelungen ist nicht die Lösung. Wir müssen deshalb ein mehrheitsfähiges Konzept mit vernünftigen Schritten finden, ohne Umverteilungen und Mehrkosten. Einfach wird das nicht. Für mich gilt das Motto: sinnvolle Anreize statt Verbote.

Die Schweiz steuert auf einen Stromengpass hin. Nun gibt es viele Stimmen, die ob dieses Szenarios Atomstrom wieder in die Diskussion einwerfen, weil die Produktion von grüner Energie nicht ausreiche. Sie sind aber ein klarer Befürworter von erneuerbaren Energien. Wie soll man dieses Problem lösen?

Diese Stimmen kommen aus gewissen Kreisen der Politik, während aus Fachkreisen sogar heutige Betreiber von Kernkraftwerken diese Option schon nur aus Kostengründen für die Zukunft nicht mehr sehen. Das sagt wohl alles. Klar ist:  die Schweiz kann sich nicht nur auf Stromimporte verlassen.

Als Präsident der aussenpolitischen Kommission des Ständerates setzten Sie sich für das vom Bundesrat begrabene Rahmenabkommen ein. Wie sehr schmerzt das?

Für mich war klar, dass es Anpassungen beim Lohnschutz und der Unionsbürger-Richtlinie braucht. So, wie der Zwischenstand auf dem Tisch lag, hätte ich auch nicht unterzeichnet. Der Bundesrat traute sich aber entsprechende Nachverhandlungen nicht zu. Nun ist er in der Pflicht. Ich erwarte von ihm konkrete Vorstellungen, wie er das Verhältnis zu unserem wichtigsten Handelspartner, der EU, künftig gestalten will.

Petra Gössi hat als Präsidentin demissioniert. Nur kurz dabei, geht Generalsekretärin Fanny Noghero wieder. Sie stehen als strategischer Wahlkampfleiter für 2023 nicht mehr zur Verfügung. Eine Wählerumfrage prognostiziert der FDP erneut Wähleranteile zu verlieren. Steht die Partei vor schwierigen Zeiten?

Ich habe mich für ein neues berufliches Engagement entschieden. Zusammen mit meiner Kommissions- und Ratsarbeit und meinem Engagement für unseren Kanton bleibt kein Platz für mehr. Ich mache keine halben Sachen.

Und wie sehen Sie die Zukunft der FDP?

Sie wird auch künftig eine Schlüsselrolle einnehmen im Kampf um einen wettbewerbsfähigen und innovativen Standort, der uns nachhaltig Wohlstand sichert. Um allerdings erfolgreich zu sein, müssen wir konsequent arbeiten und uns für ausgewogene und tragfähige Lösungen in Schlüsseldossiers wie der Reform der Sozialwerke oder der Klimapolitik einsetzen.

Was waren Ihre persönlichen Highlights der ersten Sessionshälfte?

Ich habe mich darüber gefreut, einen zentralen Beitrag zu leisten an eine ausgewogene und somit auch finanziell tragbare Lösung im Interesse der Existenzsicherung mit der Überbrückungsleistung für Erwerbslose über 60, die trotz intensiver Bemühungen keine Stelle mehr finden. Gleichzeitig habe ich mich erfolgreich für konkrete Anliegen eingesetzt wie mehr Transparenz bei den Arbeitslosenkassen, die Hepatitis-Bekämpfung oder die Ausschaffung von kriminellen Ausländern nach einer strafrechtlichen Verurteilung.

Worauf richten Sie Ihren politischen Fokus für den Rest der Legislatur?

Mein Fokus bleibt gleich, ich setze mich ein für Lösungen in den Bereichen soziale Sicherheit, Gesundheit, Klima und internationale Beziehungen. Bald kommt nach der AHV-Revision auch die BVG-Revision im Ständerat aufs Tapet. Der Mindestumwandlungssatz muss gesenkt werden. Im Unterschied zur AHV braucht es im BVG aber gezielte Verbesserungen für Frauen in Teilzeit und Geringverdiener. Die Senkung insbesondere kleiner Renten ist für mich ein Tabu. Zudem erfordert die Gesundheitspolitik nach Covid und der Abstimmung über die Pflegeinitiative meine volle Aufmerksamkeit.

Sie sind einer, der unzählige Stunden in die politische Arbeit steckt. Nun haben Sie bei einem bekannten Schweizer Versicherer eine neue Stelle angetreten. Wie bringen Sie diese beiden Tätigkeitsfelder unter einen gemeinsamen Hut bringen?

Als überzeugter Vertreter des Milizprinzips habe ich kürzlich eine berufliche Aufgabe bei der Schweizerischen Mobiliar übernommen. Von meiner Arbeitgeberin – die auf Kundennähe und Topdienstleistungen in der Stadt und auf dem Land setzt – geniesse ich die volle Unterstützung für mein Engagement als Ständerat für den Kanton Luzern.

 

Damian Müller (37, FDP) vertritt den Kanton Luzern seit 2015 im Ständerat. Er wurde 2019 mit einem Glanzresultat im ersten Wahlgang wiedergewählt. Müller hat sich mit seiner Fachkompetenz und dem Gestaltungswillen national bekannt gemacht.

Er ist Mitglied der Aussenpolitischen Kommission, der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie und der Staatspolitischen Kommission, sowie Mitglied der EU-EFTA Delegation.

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