Damian Müller | Ständerat

Engagement für die Schweiz von morgen - Sessionsrückblick Frühlingssession 2023

  • 20. März 2023
  • 5 min Lesezeit

In der Frühlingssession haben wir im Parlament in wichtigen Themen wie der Wohnungsnot oder der Sicherheit erste Weichenstellungen vorgenommen. Bei der beruflichen Vorsorge führt ein zu wenig durchdachter Entscheid leider dazu, dass die Vorlage zentrale Eckwerte nicht mehr erfüllt und dadurch an der Urne absturzgefährdet sein wird. Gefreut habe ich mich jedoch darüber, dass drei politische Vorstösse, die ich initiiert habe, vom Parlament angenommen und an den Bundesrat überwiesen wurden.

Die im Portemonnaie immer mehr spürbaren Wohnkosten und der erwartete weitere Anstieg der Mieten gehören gemäss Sorgenbarometer des Forschungsinstituts gfs zu den Problemen, die Schweizerinnen und Schweizer am stärksten beschäftigen. Auch im Parlament haben wir uns in der Frühlingssession mit verschiedenen Vorstössen befasst, die zu einer Entspannung der Situation führen sollen. Bereits im letzten Herbst – als noch kaum jemand die Sorge auf dem Radar hatte – habe ich zu diesem Thema zwei Vorstösse eingereicht, die der Ständerat nun überwiesen hat. Im ersten Postulat fordere ich die Landesregierung auf, einen Bericht mit Antworten und darauf basierenden Verbesserungsvorschlägen vorzulegen (zum Postulat 22.4290). Als Ausgangspunkt sollen die Gründe für die tiefe Leerwohnungsquote der Schweiz evaluiert werden. In einem zweiten Postulat 22.4289 zur Mietpreisexplosion in der Schweiz fordere ich den Bundesrat auf, die Gründe für die Preisentwicklung der Wohnungsmieten in der Schweiz seit 2002 darzulegen und die notwendigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Es ist klar: Um die wachsende Wohnungsnot zu lindern, muss der Trend der letzten Jahre gebrochen werden, es muss wieder mehr Wohnraum gebaut werden. Fehl am Platz sind noch mehr Auflagen, Gesetze und Vorschriften, die das Angebot weiter verknappen, wie dies die SP regelmässig fordert. Ich will stattdessen Anreize schaffen, damit mehr Wohnungen gebaut werden. Deshalb engagiere ich mich bspw. für eine Flexibilisierung der zu starren Lärmschutzvorschriften, für Lockerungen beim überbordenden Denkmalschutz, kürzere und digitalisierte Baubewilligungsverfahren und eine Erhöhung der Ausnützungsziffer, damit der Boden besser genutzt werden kann und es mit der Verdichtung endlich vorwärts geht.

Meine Motion schliesst eine Gesetzeslücke

Meine Motion (22.3608) soll bestehende Lücken im Betreuungsgesetz schliessen. Nach dem Ständerat wurde sie auch vom Nationalrat angenommen – gegen den Willen des Bundesrates.

Per 1. Juli 2021 wurde zwar ein Betreuungsurlaub für Eltern schwer kranker Kinder eingeführt. Die Praxis zeigt aber, dass die Hürden für den Bezug einer Erwerbsausfallentschädigung zu hoch sind. Eine Reduktion dieser Hürden ist deshalb notwendig. Neu soll von einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung eines Kindes ausgegangen werden, wenn ein mindestens viertägiger Spitalaufenthalt Teil der Behandlung ist und mindestens ein Elternteil die Erwerbstätigkeit für die notwendige Betreuung des Kindes unterbrechen muss. Eltern, deren Kind schwer erkrankt und das über längere Zeit Spitalpflege benötigt, machen Unvorstellbares durch. Damit sie in dieser Ausnahmesituation in jedem Fall finanziell abgesichert sind, braucht es eine Änderung des Erwerbsersatzgesetzes.

Neutralitätspolitik: Schweiz sollte im Verbund der demokratischen Länder agieren können

Mehr als ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine standen der Krieg und seine Folgen weiterhin im Zentrum vieler Debatten. Das geltende Schweizer Recht verbietet die Erteilung einer Export-Bewilligung von Rüstungsgütern in Kriegsgebiete. Das gilt auch für die Wiederausfuhr von Rüstungsgütern, die schon lange im Besitz anderer Länder sind. Im Parlament haben wir darüber diskutiert, ob die Schweiz für bestimmte Länder, die unsere Werte teilen, auf eine Wiederausfuhrerklärung verzichten soll. Eine Mehrheit war gegen eine solche Lockerung, was ich bedaure. Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass wir unsere Neutralitätspolitik darauf ausrichten, dass die Schweiz im Verbund der demokratischen Länder agieren kann – dies ist für mich ein modernes Verständnis von Neutralität, ohne deren rechtlichen Kern anzugreifen.

Berufliche Vorsorge: Schnellschuss beim Koordinationsabzug mit Folgen

Die gute Nachricht in Sachen berufliche Vorsorge (BVG) vorweg: Die Revision ist unter Dach und Fach, die Vorlage hat die Schlussabstimmung überstanden. Das ist so weit gut, als seit vielen Jahren der zu hohe Mindestumwandlungssatz aufgrund der demografischen Entwicklung ein Problem darstellt. Dabei geht es um die Frage, wie viel jemand lebenslänglich an Rente pro CHF 100’000 angespartem Altersguthaben zum Zeitpunkt der Pensionierung erhält. Weil der Wert heute zu hoch ist, werden die Jungen seit vielen Jahren benachteiligt. Damit soll nun Schluss sein.

Mit der Senkung des Mindestumwandlungssatzes sinken aber auch die Renten der Versicherten, die nur über eine minimale Lösung gemäss dem Obligatorium der beruflichen Vorsorge verfügen, und zwar auf einen Schlag um rund 13%. Weil wir dabei von Renten sprechen, die sich pro Monat auf maximal knapp 1800 Franken belaufen, herrschte auch von Beginn weg über alle Parteien hinweg Konsens, dass Rentensenkungen für Menschen mit tieferen Einkommen vermieden werden sollten. Dies mit Massnahmen, die einerseits längerfristig ihre Wirkung entfalten: einer Anpassung der prozentualen Lohnbeiträge und der Ausweitung des Anteils am Lohn, der versichert wird (durch die Anpassung des so genannten Koordinationsabzugs). Anderseits durch zusätzliche Massnahmen für diejenigen Versicherten, die kurz vor der Pensionierung stehen.

Damit komme ich zur weniger guten Nachricht. Im letzten Moment führte ein zu wenig durchdachter Entscheid zum Koordinationsabzug dazu, dass zwei wichtige Eckwerte – über die sich eigentlich alle vorher einig waren – in der Vorlage nun nicht mehr erfüllt sind. Erstens sind die Zusatzkosten für Menschen mit tiefen Löhnen massiv höher als heute. Ihre Arbeitgeber müssen ebenfalls mit Beiträgen rechnen, die sich gerne vervierfachen können. Zweitens führt dieser Entscheid dazu, dass teilweise auch Erwerbstätige mit ohnehin schon tiefen Rentenaussichten noch Abstriche hinnehmen müssen.

Ich gehörte zu denjenigen im Parlament, die stark für die Einhaltung der zentralen Eckwerte gekämpft hat. Deshalb bin ich über diese Entwicklung enttäuscht. Ich bin mir treu geblieben und habe mich in der Schlussabstimmung im Parlament konsequenterweise enthalten. Ich sehe die Vorteile der Vorlage – insbesondere die Reduktion der systemfremden Quersubventionierung –, ich sehe aber auch den (zu) hohen Preis, den viele KMU, Gewerbe- und Bauernbetriebe und ihre Angestellten bezahlen müssten.

Das Referendum gegen die Vorlage ist von linker Seite her angekündigt. Wenig überraschend häuften sich noch vor der Schlussabstimmung aber auch Stimmen aus der Bauernschaft und dem Gewerbe wie auch Fachorganisationen, die sich ablehnend oder zumindest sehr kritisch zur Lösung äusserten. Alle Stimmbürgerinnen und Stimmbürger werden deshalb voraussichtlich im März 2024 über die Vorlage entscheiden können und ihre eigenen Abwägungen vornehmen können. Das ist gut so, das ist unsere gelebte Demokratie.