Damian Müller | Ständerat

Eine Vorlage zwischen Hammer und Amboss

  • 05. Juni 2024
  • 5 min Lesezeit

Der Luzerner Ständerat Damian Müller zur bevorstehenden Abstimmung über die BVG-Reform. (Beitrag im Tagesanzeiger)

Seit vielen Jahren wird der zu hohe Mindestumwandlungssatz beklagt: Wie viel erhält jemand an Rente pro 100 000 Franken angespartem Altersguthaben im Zeitpunkt der Pensionierung? Weil dieser Satz zurzeit zu hoch ist aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung, waren wir uns im Parlament rasch einig: Der Umwandlungssatz soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent gesenkt werden. Ansonsten wird mit jeder weiteren Pensionierung ein Teil des Kapitals der noch aktiven, beitragszahlenden Versicherten zumindest kalkulatorisch «angeknabbert». Es handelt sich in der Sprache der Experten um eine sogenannte «Quersubventionierung» von Jung zu Alt, besser von den Erwerbstätigen zu den Renten-beziehenden. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Senkung des Mindestumwandlungssatzes ist aus einer systemischen Perspektive der zentrale Pluspunkt der Vorlage, weil sie diese Quersubventionierung endlich reduziert.

Geschafft: Das Parlament hat im März 2023 die Revision der beruflichen Vorsorge unter Dach und Fach gebracht. Umgehend hat die linke Seite das Referendum erfolgreich ergriffen. Das Stimmvolk wird am 22. September 2024 über die Vorlage entscheiden. Das ist gut so, die Zeit ist reif. Zu erwarten ist ein engagierter Abstimmungskampf, der nicht nur den klassischen Trennlinien entlanglaufen dürfte. Denn die Revision hat Stärken und Schwächen. Droht ihr, zwischen Hammer und Amboss zerrieben zu werden?

Mit der Senkung des Mindestumwandlungssatzes sinken aber grundsätzlich auch die Renten derjenigen Versicherten um rund dreizehn Prozent, die nur über eine minimale Lösung gemäss dem Obligatorium der beruflichen Vorsorge verfügen. Weil wir dabei von Renten sprechen, die sich pro Monat auf höchstens rund 1700 Franken belaufen, herrschte auch von Beginn weg über alle Parteien hinweg Konsens, dass Rentensenkungen für solche Erwerbstätige – die in Rente auf jeden Franken angewiesen sind – vermieden werden sollten. Dies einerseits mittels Massnahmen, die ihre Wirkung längerfristig entfalten: einer Anpassung der prozentualen Altersgutschriften (Lohnbeiträge) und der Vergrösserung desjenigen Anteils des Lohnes, der versichert wird. Letzteres soll auch dazu führen, dass Teilzeiterwerbstätige künftig mit besseren Renten rechnen können.

Das entsprechende Instrument dafür ist die Anpassung des Koordinationsabzugs. Lange sah es danach aus, dass dieser höchstens die Hälfte des heutigen Abzugs von 25 725 Franken, somit 12 863 Franken, betragen soll. Wer beispielsweise 60 000 Franken verdient, hätte auf einem Betrag in der Höhe von neu rund 47 000 Franken Sparbeiträge entrichtet. Mit dieser Massnahme hätte das Parlament ein ausgewogenes Gleichgewicht – kombiniert mit den neuen Altersgutschriften – erreicht.

Diese Lösung hätte zu einer wesentlichen Verbesserung der Renten von Teilzeiterwerbstätigen geführt, und gleichzeitig wären die Mehrkosten dafür, die ausschliesslich von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu tragen sind, verkraftbar gewesen. So wurde es von zuständigen Vertreterinnen und Vertreter aus Branchen mit eher tiefen Löhnen und Margen beurteilt. Gewarnt haben diese Vertretenden das Parlament hingegen vor noch höheren Beiträgen aufgrund anderer Ansätze für den Koordinationsabzug, und sie haben anhand von Beispielen aufgezeigt, was dies in der Summe für ein Restaurant, eine Metzgerei, eine Schreinerei oder einen Coiffeursalon und deren Mitarbeitenden bedeuten würde.

Die Mehrheit im Parlament hatte kein offenes Ohr für dieses Anliegen. Als Ersatz ist stattdessen in letzter Minute eine Lösung entstanden, die den Koordinationsabzug immer auf 20 Prozent des AHV-Lohns beziffert. Der Vorteil dieser Lösung besteht darin, dass zumindest gewisse Einkommenssegmente auf einen deutlich höheren zu versichernden Verdienst kommen.

Unter dem Strich resultieren aus dieser Entscheidung zum Koordinationsabzug in Kombination mit den verabschiedeten prozentualen Altersgutschriften für viele KMU namentlich in produzierenden Branchen und im Gewerbe nun aber auch spürbar höhere Kosten. Und zudem unglücklicherweise auch gleich noch Renteneinbussen bei Vollzeiterwerbstätigen im Alter über fünfzig Jahren mit anständigen, aber durchschnittlichen Löhnen und entsprechend bescheidenen künftigen Renten. Entsprechend geharnischt waren in den Tagen vor der Schlussabstimmung über die Vorlage die Reaktionen aus diesen Kreisen, und sie lassen bis heute nicht nach.

Die Vorlage weist damit in zwei für die Bewertung der Vorlage wesentlichen Punkten je nach Optik deutliche Schwächen auf. Erstens sind die Zusatz-kosten für Erwerbstätige mit tieferen Löhnen und ihre Arbeitgeber künftig deutlich höher, zumindest aus ihrer verständlichen Sicht teilweise entschieden zu hoch. Dies wollten eigentlich alle bürgerlichen Parteien vermeiden. Zweitens führt der Entscheid über den Koordinationsabzug dazu, dass auch ältere Erwerbstätige mit ohnehin schon tiefen Rentenaussichten Abstriche werden hinnehmen müssen. Auch das wollten wir im Parlament eigentlich vermeiden.

Daran ändert auch die Tatsache wenig, dass künftig insbesondere Teilzeiterwerbstätige mit tiefem Beschäftigungsgrad und entsprechend tiefem Einkommen mit höheren Renten rechnen können. Denn dazu wird – von linker Seite – bemerkt, das bringe diesen (mehrheitlich) Frauen nichts, weil auch sie gleichzeitig dafür noch deutlich höhere Lohnabzüge zu gewärtigen hätten und damit tiefere Nettolöhne. Dies bei künftigen Renten von immer noch weit unter tausend Franken pro Monat, was nach wie vor nicht reichen werde, um davon – zusammen mit einer durchschnittlichen AHV – im Alter anständig leben zu können.

An deren Abhängigkeit von Ergänzungsleistungen ändere sich somit nichts. Anzumerken an dieser Stelle bleibt, dass ausgerechnet die Linke in den beiden Räten fast geschlossen wacker an der Mehrheitsbeschaffung für diese nun auch von ihrer Seite heftig kritisierten Lösung bezüglich Koordinationsabzug mitwirkte. Ein Schelm ist, wer böses denkt.

Insbesondere diese Entscheidungen und ihre konkreten Folgen in der Praxis – und damit insbesondere in der KMU- und Gewerbewirtschaft – werden die Diskussion im Abstimmungskampf stark prägen. Jede und jeder wird sich nun ein eigenes Bild machen und abwägen können, wie sie oder er die Vor- und Nachteile gewichtet. Das ist gut so – denn so funktioniert unsere Demokratie. Ob die Vorlage dabei zwischen Hammer und Amboss geraten wird, wissen wir spätestens am Abend des kommenden 22. September.