Damian Müller | Ständerat

Eine Schere in der Vorsorge öffnet sich

  • 13. September 2022
  • 3 min Lesezeit

Die AHV21 ist nur ein erster Schritt zur Sicherung der Renten.

Eigentlich wissen wir es alle, und wir reden schon lange darüber: Nun gehen in den nächsten Jahren die sogenannten Babyboomer-Jahrgänge in Rente, und dies gleich in Scharen, von Jahr zu Jahr immer mehr. Eine Million Mitbürgerinnen und Mitbürger soll es in den nächsten zehn Jahren etwa sein. Nur halb so viele junge Menschen treten derweil neu in den Arbeitsmarkt ein.

Dadurch entsteht erstens ein nun stetig wachsender Fachkräftemangel, und zweitens öffnet sich eine Schere in der AHV durch das Auseinanderdriften der Rentenbezüger gegenüber den aktiven Beitragszahlern.

DAS DEFIZIT STEIGT

Das Erstere, der Fachkräftemangel, ist nicht einzig eine grosse Aufgabe für unsere Wirtschaft und die Sicherung unseres Wohlstands, sondern auch Mitursache der zweiten Herausforderung, der Sicherung der AHV-Renten wegen der wachsenden, demografisch bedingten Unterfinanzierung.

Ohne Gegenmassnahmen schreibt die AHV gemäss den Projektionen des Bundes 2030 rund 4 bis 5 Mrd. Fr. Defizit, und zwar pro Jahr. Danach soll sich diese Finanzierungslücke binnen weniger Jahre nochmals verdoppeln, auf 8 bis 10 Mrd. Fr. Denn es steigt nicht einzig die Zahl der Rentenbeziehenden, diese leben glücklicherweise auch immer länger. So wuchs die Lebenserwartung von Frau und Mann seit der Einführung der AHV 1948 pro Jahrzehnt um fast ein Jahr.

Prognosen sind zwar mit der notwendigen Vorsicht zu geniessen. Und da wir wirtschaftlich zum Glück gut durch die Pandemie gekommen sind und sich die Märkte in dieser Phase wider Erwarten positiv entwickelt haben, ist der zusätzliche Finanzierungsbedarf der AHV aktuell noch nicht allzu dringlich. Doch wegzudiskutieren ist die strukturelle Herausforderung nicht. Der Handlungsbedarf wird in den nächsten Jahren gross sein. Bis gegen 2040 fehlen der AHV für eine ausgeglichene Rechnung mindestens 2%, aber eher 3% Mehrwertsteuer. Oder ein um etwa drei Jahre höheres Rentenalter, wenn man die Renten gemäss heutiger Finanzierung auf dem derzeitigen Niveau sichern möchte.

HEFTIGES RINGEN UM REFORM

Im Parlament haben wir heftig gerungen für den ersten Schritt zur langfristigen Sicherung der AHV-Renten. Herausgekommen ist ein Kompromiss aus der Angleichung des Frauenrentenalters an das Männerrentenalter. Allerdings soll diese Massnahme abgefedert werden durch grosszügige Rentenzuschläge für neun Frauenjahrgänge. Ab dem zehnten Jahrgang gilt dann Gleichstand mit den Männern. Verknüpft mit dieser Massnahme ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.4 Prozentpunkte.

Die AHV21 ist damit ein erster Schritt auf dem langen Weg zur Sicherung der AHV-Renten auf heutigem Niveau trotz der demografischen Alterung – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Durch die kostenintensiven Ausgleichsmassnahmen für die ersten neun Frauenjahrgänge und die Kosten für die Attraktivitätssteigerung des flexiblen Rentenbezugs bereits ab Alter 63 stösst der Vorwurf, die AHV21 sei eine Sparvorlage, ins Leere. Und von einseitigem AHV-Abbau auf Kosten der Frauen kann schon gar nicht die Rede sein.

KEINE RENTENKÜRZUNGEN

Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass sich die finanzielle Verbesserung der AHV durch die Revision in Grenzen hält. Die AHV wird deshalb bereits vor 2030 wieder rote Zahlen schreiben. Nach der Revision ist deshalb vor der Revision. Kaum wird die AHV21 in Kraft sein, müssen Bundesrat und Parlament über den nächsten Schritt nicht nur reden, sondern handeln.

Rentenkürzungen müssen dabei tabu sein. Wir dürfen uns aber auch nichts vormachen: Die Bewältigung der demografischen Alterung wird die Altersvorsorge insgesamt spürbar verteuern und zwar nicht einzig die AHV, sondern auch die berufliche Vorsorge.

Wird in diesen Tagen im Abstimmungskampf jedoch auf beiden Seiten der Eindruck erweckt, es handle sich am Abstimmungstag, den 25. September, um eine Schicksalsabstimmung – sei es für die AHV oder gar für unser Land – dann ist das ebenso in beide Richtungen übertrieben. Weder geschieht die Sicherung der AHV-Renten allein auf dem Buckel der Frauen, noch rettet diese Revision die AHV langfristig nachhaltig. Es handelt sich um einen ersten Schritt auf einem langen Weg. Dieser Schritt ist richtig und äusserst wichtig.

Mein Beitrag erschien in der Finanz und Wirtschaft im Sonderbund September.