Damian Müller | Ständerat

Die Stunde der Opportunisten

  • 18. Januar 2019
  • 3 min Lesezeit
  • SBI – Zickzackkurs der SVP
  • Vernetzte Welt

Letzten Sonntag bei der Lektüre des Sonntagsblicks kam ich kaum mehr aus dem Staunen heraus. War es bloss ein übler Verschreiber? Oder hatte man sich verlesen? Da berichtet die Zeitung, dass die SVP nicht mehr davon redet, dass man eine Kündigung der EMRK in Kauf nehmen würde.

Die Stunde der Opportunisten hat scheinbar geschlagen: In der neusten Version des Argumentariums ist das Argument eliminiert worden und es heisst nur noch: Die Kündigung der EMRK sei nicht das Ziel der Selbstbestimmungs-Initiative. Auch der Hinweis, dass die Schweiz bei einem EMRK-Austritt lediglich nicht mehr Mitglied des Europarates sei und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweizer Justiz nicht mehr «überstimmen» könne, wurde gelöscht. Scheinbar haben die SVP-Strategen gemerkt, dass sie die Einzigen sind, die ernsthaft über die Kündigung der Menschenrechte nachdenken.

Dieser Schwenker erstaunt trotzdem, hatte der geistig Vater der Initiative, der Zürcher Nationalrat Hans-Ueli Vogt bei verschiedenen Gelegenheiten explizit gesagt, dass die EMRK gekündigt werden müsste.

Der Schwenker legt aber auch offen, dass nicht mal die SVP genau weiss, was sie mit ihrer Initiative auslösen wird. Oder glauben die SVP-Strategen allen Ernstes, dass die negativen Folgen ihrer Initiative aus der Welt geschafft wären, wenn man einen oder zwei Sätze aus ihrem Argumentarium streicht? Glauben sie wirklich, dass ihr Argumentarium auf der Homepage massgeblich sei und nicht der Initiativtext, der neu in der Bundesverfassung verankert sein wird? Oder will die SVP die Stimmbevölkerung mit einem Täuschungsmanöver für blöd verkaufen? Egal, in jedem Fall sind sie auf dem Holzpfad denn der Text ist klipp und klar – im Konfliktfall sind internationale Verträge, die nicht dem Referendum unterstanden haben, zu kündigen und damit auch die EMRK. Gerade die verhasste Personenfreizügigkeit wäre aber nicht betroffen, da sie mehrmals vom Volk genehmigt wurde. Damit wird aber klar, dass diese Initiative zu reiner Willkür führt und damit ein juristischer Pfusch ist.

Statt die Situation ein für allemal zu klären, verwurstelt die Initiative alles noch mehr. Und noch schlimmer, sie manövriert uns in die Geiselhaft der SVP-Willkür. Wird sie angenommen, würde die SVP die Deutungshoheit über die Verfassung an sich reissen wollen. Wollen wir wirklich die SVP (oder sonst eine Partei) bestimmen lassen für welche Verträge diese Initiative gelten soll? Nein, sicher nicht, hierfür haben wir einen Rechtsstaat, haben entsprechende Institutionen, haben das Referendum und die Initiative. Damit können wir von Fall zu Fall und vor allem punktgenau entscheiden, was uns recht ist und was nicht. Und wir stellen ein bewährtes System von internationaler Zusammenarbeit durch Rechtssicherheit nicht unter Generalverdacht.

Ich mag mir nicht ausmalen, welche Diskussionen auf uns zukommen, wenn diese Initiative angenommen wird. Sie werden endlos sein, aber zu keiner eindeutigen Klärung führen. Im Gegenteil, die SVP wird diese Diskussionen nach hinlänglich bekanntem Muster nutzen, um unseren Rechtsstaat weiter zu attackieren. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir heute brauchen, eine nationale Zuversicht und Vertrauen in unsere Geschichte, die uns auf internationalem Parkett zu einem wichtigen Partner gemacht hat. Gerade weil die Schweiz stets in der Lage war, sich zu verknüpfen und Rechtssicherheit zu bieten, sind wir erfolgreich. Was könnte ein besseres Argument sein, um die schädliche Initiative abzulehnen?