Die Fehlanreize müssen weg
- 23. September 2023
- 3 min Lesezeit
Ich bin der Meinung, dass es Zeit ist, das Gesundheitssystem neu auszurichten und den Patientennutzen zur Messgrösse zu machen. Meine Gedanken und Lösungsvorschläge habe ich in einem Gastbeitrag in Medinside ausgeführt.
Jährlich zum Prämienanstieg grüsst das Murmeltier: Die einen propagieren dirigistische Staateingriffe, die anderen bringen gar die Abschaffung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung aufs Tapet. Leistungserbringer und Kostenträger schieben sich die Du-bist-schuld-Karte hin und her.
Und die Gesundheitsökonomen rechnen vor, dass die Kosten gar nicht so hoch sind – eigentlich, wenn man sie in Relation zum Bruttoinlandprodukt setzt. Letzterem stimme ich zu, vor allem auch deshalb, weil der Kostenblick auf die Gesundheitsversorgung veraltet und zu eng gefasst ist.
Vielmehr geht es darum, der ursprünglichen Intention des Krankenversicherungsgesetzes nachzukommen, was heisst, mit einem effizienten Einsatz der Mittel möglichst viel Gesundheit zu erhalten oder zu schaffen.
Dieser Ansatz der ergebnisorientierten Gesundheitsversorgung bezieht sich auf den gesamten Behandlungspfad und versteht unter Patientennutzen auch Dimensionen wie Selbstständigkeit, Mobilität, Arbeitsfähigkeit und Teilhabe am sozialen Leben. Kürzere Eingriffe und Spitalaufenthalte und die Vermeidung von Folgebehandlungen gehören ebenfalls mit in diese Gesamtbewertung.
Heute ist es die Menge und deren stetige Ausweitung, die einschenken. Die nachfolgend beschriebenen Fehlanreize, stehen stellvertretend für viele mehr:
- Ein Arzt verdient heute umso mehr, je mehr Operationen er durchführt.
- Die Marge der Apotheke ist umso höher, je höher der Preis des abgegebenen Medikaments ist.
- Die Spitäler verdienen mehr mit stationärer statt ambulanter Versorgung.
- Wer eine Zusatzkrankenversicherung hat – so zeigt es die Statistik – wird tendenziell überversorgt, was im Klartext eine Fehlversorgung ist.
Solche Fehlanreize müssen weg. Es ist Zeit, das Gesundheitssystem neu auszurichten und den Patientennutzen zur Messgrösse zu machen. Es muss sich lohnen, Gesundheit zu erhalten und Gesundheit zu schaffen.
Ein Sprichwort besagt «Besser auf neuen Wegen etwas stolpern als in alten Pfaden auf der Stelle zu treten». Ich erhoffe mir, dass die neue Gesundheitsministerin oder der neue Gesundheitsminister mutig ist, unbewährte Pfade zu verlassen. Und auch, dass er oder sie den Dialog mit den Leistungserbringern und Kostenträgern sowie der Industrie, welche die Medikamente und die Medizinprodukte für die Versorgung der Bevölkerung bereitstellt, für eine notwendige Selbstverständlichkeit hält.
Als langjähriges Mitglied der Gesundheitskommission kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass parlamentarische Aufträge, die den zuständigen Behörden unliebsam sind, bisweilen liegen bleiben. Auch das ändert sich hoffentlich unter der neuen Departementsführung.
Seit November 2022 ist der Bundesrat vom Parlament beauftragt, das nationale Recht so anzupassen, dass die Schweiz nicht mehr ausschliesslich von Medizinprodukten abhängig ist, die der europäischen Regulierung (Medical Device Regulation, MDR) entsprechen, sondern zum Beispiel auch Medizinprodukte anerkennt, die von der Food and Drug Administration (FDA) für die USA zugelassen sind.
Dass die bürokratische MDR negative Effekte auf die Versorgungssicherheit und Innovation hat, manifestiert sich zunehmend und wird kaum noch bestritten. Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Die MDR lässt rund 15 Prozent aller Medizinprodukte vom europäischen Markt verschwinden. Und mehr als 50 Prozent aller europaweit befragten Unternehmen geben an, Amerika für die Erstzulassung ihrer Innovationen zu bevorzugen.
Früher galt als Konsens, den Zulassungsprozess in Europa zu starten. Diese Zeiten sind vorbei. In einer jüngst ausgestrahlten ARD-Sendung hiess es, dass die Schweiz der Versorgungsproblematik und der Abwanderung von Innovation nicht untätig zuschaue. Das Parlament habe gehandelt. Ja, das haben wir. Jetzt ist es wichtig, dass auch der Bundesrat handelt und den Auftrag mit der gebotenen Dringlichkeit pragmatisch umsetzt.