Damian Müller | Ständerat

Das ist gelebte Demokratie

  • 28. März 2023
  • 4 min Lesezeit
  • Solidarität

In der Frühlingssession haben wir im Parlament bei einigen wichtigen Themen Weichenstellungen vorgenommen. Dass ich nicht von allen Weichenstellungen gleichermassen überzeugt bin, gehört zur gelebten Demokratie. Mein Brief aus dem Ständerat im Willisauer Bote vom 28. März.

Wohnungsknappheit und stark steigende Mietkosten an der Wurzel bekämpfen

Aber der Reihe nach: Für viel Gesprächsstoff sorgten die anziehende Wohnungsnot und die steigenden Mietkosten. Bereits im letzten Herbst – als noch kaum jemand das Thema auf dem Radar hatte – habe ich dazu zwei Vorstösse eingereicht, die der Ständerat nun überwiesen hat. Im ersten Postulat fordere ich die Landesregierung auf, einen Bericht mit Antworten und darauf basierenden Verbesserungsvorschlägen zur Bekämpfung der Wohnungsknappheit vorzulegen. Als Ausgangspunkt sollen die Gründe für die tiefe Leerwohnungsquote der Schweiz evaluiert werden. In einem zweiten Postulat zur Mietpreisexplosion in der Schweiz fordere ich den Bundesrat auf, die Gründe für die Preisentwicklung der Wohnungsmieten in der Schweiz seit 2002 darzulegen und die notwendigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Es ist klar: Um die Wohnungsnot und die Mietpreisexplosion zu lindern, muss wieder mehr Wohnraum geschaffen werden. Deshalb engagiere ich mich für eine Flexibilisierung der zu starren Lärmschutzvorschriften, für Lockerungen beim überbordenden Denkmalschutz, kürzere und digitalisierte Baubewilligungsverfahren, gegen willkürliche Einsprachen und eine Erhöhung der Ausnützungsziffer, damit der Boden besser genutzt werden kann und es mit einer massvollen Verdichtung endlich vorwärts geht.

Betreuung schwer kranker Kinder: Motion schliesst eine Gesetzeslücke

Gefreut habe ich mich, dass mit meiner Motion zum Betreuungsgesetz eine bestehende Lücke geschlossen werden kann. Es geht darum, dass per 1. Juli 2021 zwar ein Betreuungsurlaub für Eltern schwer kranker Kinder eingeführt wurde. Die Praxis zeigt aber, dass die Hürden für den Bezug einer Erwerbsausfallentschädigung zu hoch sind. Eine Reduktion dieser Hürden ist deshalb notwendig. Neu soll von einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung eines Kindes ausgegangen werden, wenn ein mindestens viertägiger Spitalaufenthalt Teil der Behandlung ist und mindestens ein Elternteil die Erwerbstätigkeit für die notwendige Betreuung des Kindes unterbrechen muss. Sowohl National- als auch Ständerat unterstützen meinen Auftrag.

Berufliche Vorsorge: Schnellschuss beim Koordinationsabzug mit Folgen

Zum Schluss der Session hat das Parlament die Revision der beruflichen Vorsorge unter Dach und Fach gebracht. Glücklich bin ich mit dem Resultat nicht. Gut ist, dass der seit vielen Jahren zu hohe Mindestumwandlungssatz gesenkt werden soll. Heute werden die Jungen massiv benachteiligt. Die Revision hat Stärken, aber leider auch offensichtliche Schwächen.

So sinken mit der Anpassung des Mindestumwandlungssatzes die Renten der Versicherten mit minimaler Lösung auf einen Schlag um rund 13%. Dabei sprechen wir von Renten von maximal 1800 Franken pro Monat. Es herrschte Konsens, dass Rentensenkungen für Menschen mit tieferen Einkommen vermieden werden müssen. Dies mit Massnahmen, die einerseits längerfristig ihre Wirkung entfalten: einer Anpassung der prozentualen Lohnbeiträge und der Ausweitung des Anteils am Lohn, der versichert wird (durch die Anpassung des so genannten Koordinationsabzugs). Anderseits durch zusätzliche Massnahmen für diejenigen Versicherten, die kurz vor der Pensionierung stehen.

Damit komme ich zur weniger guten Nachricht. Im letzten Moment führte ein wenig durchdachter Entscheid beim Koordinationsabzug dazu, dass zwei wichtige Eckwerte – über die sich eigentlich vorher alle einig waren – in der Vorlage nun nicht mehr erfüllt sind. Erstens sind die Zusatzkosten für Menschen mit tiefen Löhnen massiv höher als heute. Ihre Arbeitgeber müssen zudem ebenfalls mit Beiträgen rechnen, die sich vervielfachen können. Zweitens führt dieser Entscheid dazu, dass teilweise auch Erwerbstätige mit ohnehin schon tiefen Rentenaussichten noch spürbare Rentensenkungen hinnehmen müssen.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass künftig Teilzeiterwerbstätige mit tiefem Beschäftigungsgrad und tiefem Einkommen mit höheren Renten rechnen können. Wir sprechen dabei allerdings von vielleicht fünfhundert statt dreihundert Franken pro Monat – von Beträgen also, die nach wie vor nicht reichen, um davon – zusammen mit einer durchschnittlichen AHV – im Alter leben zu können.

In der ganzen Debatte habe ich mich engagiert für die Einhaltung der genannten Eckwerte. Dies im Bewusstsein, dass nur eine ausgewogene Vorlage letztlich Chancen in einer Volksabstimmung hat. Umso grösser ist meine Enttäuschung, dass im letzten Moment der wenig durchdachte Entscheid beim Koordinationsabzug dies nun verhinderte.

So blieb ich konsequent und habe mich in der Schlussabstimmung im Ständerat der Stimme enthalten. Ich sehe die Vorteile der Vorlage – die Reduktion der Quersubventionierung – ich sehe aber auch den (zu) hohen Preis, den viele Branchen und ihre Angestellten bezahlen müssten.

Ich erwarte, dass die nötigen Unterschriften für das Referendum schnell gesammelt sind. Das Stimmvolk wird voraussichtlich im März 2024 über die Vorlage entscheiden können. Und das ist gut so. Denn das ist gelebte Demokratie.