Arbeiten nach der Pensionierung darf nicht von der AHV bestraft werden
- 13. Juni 2023
- 5 min Lesezeit
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Solidarität
Wer nach der Pensionierung arbeitet, zahlt weiter in die AHV ein, ohne etwas davon zu haben. Der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller möchte dies mit einer Motion ändern. Warum er auch die Frühpensionierung unattraktiver machen will, verrät er im Interview mit der Helvetic Care AG.
Warum möchten Sie, dass die Schweizerinnen und Schweizer nach Ihrer Pensionierung weiterarbeiten?
Damian Müller: Seit vielen Jahren wissen wir, dass wir durch die demografische Entwicklung bald definitiv auf ein gravierendes Problem stossen: Die Babyboomer gehen in Pension, viel weniger Junge kommen im Arbeitsmarkt nach. Das schafft uns nicht nur eine gewaltige Herausforderung in der Finanzierung der Renten und des Gesundheitswesens aufgrund einer Mengenausweitung, sondern ist auch direkt spürbar im Arbeitsmarkt.
Experten warnen seit Langem, dass sich die Schere in den nächsten Jahren gewaltig öffnet: Mehrere Hunderttausend Personen gehen mehr in Rente, als junge Leute in den Arbeitsmarkt eintreten. Es geht nun darum, die vorhandenen Potenziale besser zu nutzen – bspw. Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen besser einzugliedern, das Potenzial der Frauen besser zu nutzen, aber auch die Schaffenskraft und -lust der Menschen, die bereits das Pensionsalter erreicht haben, stärker zu aktivieren. Jede Arbeitskraft zählt!
Was müsste sich ändern?
Es wird heftig gestritten über das Referenzalter. Eine schrittweise Erhöhung ist sicher wichtig für die Finanzierung der AHV. Viel wichtiger es aber, gute Rahmenbedingungen zu haben für die freiwillige Weiterarbeit. Gefordert sind dabei ganz besonders auch die Arbeitgeber, indem sie frühzeitig mit ihren Mitarbeitenden das Gespräch suchen und ihnen attraktive Möglichkeiten bieten, also Win-win-Lösungen schaffen.
Trotzdem scheint das Arbeiten nach der Pensionierung noch sehr unattraktiv zu sein…
Wenn ich unterwegs bin – und das bin ich sehr oft, in der ganzen Schweiz, sehr intensiv aber mit meinem Müller-Mobil im Kanton Luzern, dann kommt das Thema häufig zur Sprache. Ich höre dann meist zwei Dinge: Wenn mir der Arbeitgeber mehr Wertschätzung entgegengebracht hätte, wäre ich bereit gewesen, wenigstens in Teilzeit weiterzuarbeiten.
Oder: Ich arbeite gerne noch weiter, stelle aber fest, dass ich von der AHV bestraft werde, wenn ich zu viel arbeite. Gemeint ist: Ich bezahle weiter Beiträge, habe aber nichts davon. Ob sie es glauben oder nicht: Die Höhe des Freibetrags von heute CHF 1400 pro Monat wirkt dann unnötig limitierend.
Wie möchten Sie das mit Ihrer Motion ändern?
Ich möchte dafür sorgen, dass wenigstens die Anreize in der AHV verbessert werden. Der Freibetrag wurde seit mehr als 20 Jahren nie mehr der Teuerung angepasst. Das muss nun rasch geschehen. Ich schlage deshalb die Anhebung des Freibetrags auf CHF 3000 pro Monat vor.
Gleichzeit möchten Sie mit Ihrer Motion Frühpensionierungen unattraktiv machen. Warum?
Ich möchte vor allem den Irrsinn, den wir mit der AHV21 geplant haben, wenigstens so korrigieren, dass nicht noch der heutige Zustand verschlimmert wird. Demnach sollen per 2027 die Kürzungen bei Vorbezug der AHV so korrigiert werden, dass sie kleiner ausfallen als heute. Das heisst nichts anderes als: Ausgerechnet für gut qualifizierte Fachleute steigt der Anreiz zur Frühpensionierung. Denn Leute mit handwerklichen Berufen können es sich sowieso nicht leisten, in Frühpensionierung zu gehen.
So beklagen wir uns über Fachkräftemangel, setzen aber insbesondere den Fachleuten Anreize, in Frührente zu gehen. Was den Aufschub des Rentenbezugs anbelangt, möchte ich die Anreize verbessern statt ebenfalls verschlechtern. Wer weiter arbeitet und die Rente später bezieht, der soll einen höheren Zuschlag erhalten als heute. Damit entlasten wir übrigens auch die EL, die zunehmend ebenfalls finanziell aus dem Ruder laufen wird.
Erst haben wir eine AHV Revision erlebt. Weshalb waren Ihre Forderungen nicht ein Teil dieses Prozesses?
Das Parlament hat da leider nur halbbatzige Arbeit geleistet. Richtigerweise hat man ein Wahlrecht für den Freibetrag eingeführt. So können diejenigen, welche nicht die Maximalrente erreichen – rund 1⁄3 der Erwerbstätigen, durch die Arbeit über das Referenzalter hinaus ihre Rente tatsächlich verbessern. Ihr ganzes Einkommen bleibt so versichert und sie verbessern sich damit die Rente.Nur hat man die Kehrseite der Medaille zu wenig betrachtet: Die Vermeidung von Fehlanreizen für die Frühpensionierung von gut Qualifizierten und die richtigen Anreize, damit sie freiwillig ganz oder teilweise im Erwerbsprozess bleiben.
Es gibt viele Menschen, die nach ihrer Pensionierung nicht weiterarbeiten möchten. Haben Sie nicht Angst, diese als Wähler zu vergraulen?
Eben gerade nicht. Mein Vorschlag setzt auf Selbstbestimmung, niemand muss, jeder soll können. Es soll ein individueller Entscheid sein, der aber nicht durch Fehlanreize negativ beeinflusst werden soll. Was ich aber von der Wirtschaft erwarte, ist eine klare Verbesserung der Bereitschaft, sich in dieser Sache ebenfalls zu engagieren. Die Personalpolitik muss sich viel stärker auch dem Segment der älteren Arbeitnehmenden annehmen und dieses viel besser pflegen als in der Vergangenheit. Wer länger arbeiten will, soll auch die Chance erhalten.
Sie sind erst 38 Jahre alt. Warum beschäftigen Sie sich als Ständerat mit diesem Thema?
Als Mitglied der ständerätlichen Gesundheits- und Sozialkommission erlebe ich tagtäglich die enormen Herausforderungen, auf die wir in den Sozialwerken und dem Gesundheitswesen zusteuern. Das ist aber alles noch gar nichts, wenn uns bald an allen Ecken und Enden die qualifizierten Arbeitskräfte fehlen. Und nur über Zuwanderung werden wir das Problem nicht lösen. Zudem ist es tatsächlich so: Das Thema beschäftigt viele Menschen zusehends und ich werde vermehrt darauf angesprochen.
Dabei kommen auch ganz lässige Beispiele ans Tageslicht: Der Ingenieur, der mit 63 ein Start-up im Bereich der alternativen Energien gründet, der Elektriker, der mit 69 noch zwei Tage pro Woche für Spezialeinsätze wie kleinere Reparaturen zur Verfügung steht. Es fasziniert mich zu hören, welche Ideen viele Menschen gerade mit grosser Lebenserwartung haben. Das müssen wir unbedingt gesellschaftlich nutzen!